"Chaos auf Reisen tut mir wahnsinnig gut"

Clueso, Jahrgang 1980, bürgerlich Thomas Hübner, lehnt seinen Künstlernamen an Inspektor Clouseau aus "Der rosarote Panther" an. Seit 2001 spielten alle seine Alben Gold ein, eins sogar Platin. Auf seinem achten Album "Handgepäck I", das am 24. August erscheint, sammelt er Songs, die auf Reisen und Tourneen entstanden sind.
Clueso: Ich reise tatsächlich immer nur mit Handgepäck und kaufe mir lieber mal ein Shirt vor Ort. Neben den Klassikern von Socken bis Zahnbürste packe ich eine Kopie meines Ausweises ein, ein Pullöverchen, falls doch ein Wind weht, Mikrofon und Kopfhörer, Laptop, Mehrfunktionssteckdose und diverse Kabel.
SPIEGEL ONLINE: Immer bereit, Musik zu machen.
Clueso: Die große Frage ist jedes Mal, ob ich eine Gitarre mitnehme. Das ist Sperrgepäck und auf manchen Reisen zu kompliziert. Aber ich habe mir unterwegs schon mal eine Kindergitarre gekauft, weil ich es ohne nicht ausgehalten habe. Später habe ich sie verschenkt.
SPIEGEL ONLINE: Warum reisen Sie: Um anzukommen oder um unterwegs zu sein?
Clueso: Beides. Einerseits reise ich, um zu mir zu finden, andererseits um mich treiben zu lassen. Ich unterscheide verschiedene Arten von Reisen: Urlaub ist eher Reha bei Freunden, wo ich alles schon kenne. Meine Fernreisen sind getrieben von Neugier. Ich mag Spontaneität und brauche ein bisschen Chaos. Wenn ich zurückkomme, merke ich: Dringlichkeiten und Wichtigkeiten sortieren sich neu.
SPIEGEL ONLINE: Bei der Rückkehr hat sich also der Blick auf Sie selbst und die Welt verändert.
Clueso: Nach einer Reise lerne ich vieles wieder lieben, die massiven Bauten in diesem Land und mein cooles Studio zum Beispiel. Ich fühle mich inspiriert. In einem fremden Land unterbleibt auch der Personenkult, und ich finde besser zu mir. Wenn ich auf Tour bin, ist das allerdings anders. So viele Menschen, die den ganzen Tag auf mich zukommen, zu viele Reize! Danach bin ich erst mal platt.
SPIEGEL ONLINE: Mit wem reisen Sie gern?
Clueso: Mit Leuten, die ebenfalls mit wenig Gepäck auskommen, die meine Neugier teilen und wissen, dass es kein Erholungsurlaub sein muss. Mit Freunden, am liebsten zu zweit. Auf keinen Fall in großen Gruppen. Zu zweit ist man beweglicher. Der Ort muss die Chance haben, auf einen zuzukommen. Beweglichkeit ist dafür die Voraussetzung. Und bei mir gilt: Bloß kein Freizeitstress und nicht zu viel planen! Mein Leben ist durchgetaktet, obwohl ich eigentlich kein strukturierter Typ bin. Chaos auf Reisen tut mir wahnsinnig gut.
SPIEGEL ONLINE: Wohin reisen Sie gern?
Clueso: Ich war viel in Asien unterwegs, auch für den Verein "Viva con Agua". Die Auswahl ist oft zufällig. Ich höre von anderen, wo sie waren: Argentinien, Kuba, bevor sich dort alles ändert. Das würde ich als nächstes anpeilen.
SPIEGEL ONLINE: Ist Reisen auch eine Flucht?
Clueso: Nein, es ist eher ein Sortieren. Und es ist Benzin für gute Songs, wie David Bowie gesagt hat.
SPIEGEL ONLINE: Der volle Tank wird unterwegs gleich angezapft. Sie schreiben auf Ihren Reisen viele Texte, komponieren und nehmen auf.
Clueso: Oft mische ich auch. Das geht heute größtenteils mit dem Laptop. Vor sechs, sieben Jahren hätte das technisch noch nicht funktioniert. Auf dem neuen Album sind viele Songs genauso, wie sie auf der Reise entstanden sind. Sie wurden nicht mehr nachträglich bearbeitet. Handgepäck muss rumpeln, es muss atmen.
SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben deutsche Texte. Woher nehmen Sie in fremder Umgebung die Inspiration, sich auf Deutsch auszudrücken?
Clueso: Ich habe immer einen Gedichtband dabei. Seit mehr als einem Jahr nehme ich Mascha Kalekos lyrisches Stenogramm mit. Das ist ein Stück Zuhause. Ansonsten bedeutet Schreiben für mich auch wegträumen, loslassen, es fließen lassen.
SPIEGEL ONLINE: Wo schreiben Sie denn unterwegs?
Clueso: Ich kann mich überall konzentrieren, wenn ich einmal drin bin. Wenn ich allerdings einen Song fertigstellen will, gibt es Momente, in denen ich die Außenwelt von mir fernhalten muss. Das heißt: Klingel abstellen oder einen absolut ruhigen Raum suchen.
SPIEGEL ONLINE: Fühlen Sie sich wohl in Hotels?
Clueso: Ich kann das sehr genießen, bestelle mir gern Essen, schlafe aus. Im Handgepäck habe ich immer ein Tuch, das ich über Lampen hänge, um stimmungsvolleres Licht zu machen. Es ist mit Feuerspray imprägniert, damit es nicht in Brand gerät. Das habe ich in einer Doku über Keith Richards gesehen.
SPIEGEL ONLINE: Der Streuner in mir frisst das letzte Heimweh auf, lautet einer Ihrer Verse. Sie haben kein Heimweh unterwegs?
Clueso: Meist ist die Neugier größer als das Heimweh. Am Ende möchte ich oft zwei bis drei Tage länger bleiben.
SPIEGEL ONLINE: Und wohin geht es als nächstes?
Clueso: "Handgepäck I" ist zwar ein Aufruf zum Reisen, aber jetzt möchte ich am liebsten zwei Wochen zuhause sein, eine Mini-Routine kreieren, einkaufen, kochen, Wäsche waschen, Fahrrad fahren. Manchmal spüre ich eine lustige kleine Sehnsucht, etwas ganz Normales zu machen, täglich ins Büro zu fahren. Aber das würde ich nie im Leben aushalten. Und die Kollegen würden mich auch nicht aushalten.