Filmproduzent Ivo Beck

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Wie dreht man in Teheran eine Liebeskomödie?
Spiegel Online
07.01.2018
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• Filmproduzent Ivo-Alexander Beck, 53, ist Gesellschafter der Ninety-Minute-Film GmbH und leitet die Bavaria Berlin. Der gebürtige Berliner studierte Germanistik, Kunst- und Theaterwissenschaft in Jena und Berlin, arbeitete für verschiedene Produktionsfirmen sowie für Sat.1. Seine Komödie "Barfuß bis zum Hals" wurde 2010 mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet. Oft dreht er Genre-Filme zu schwierigen gesellschaftlichen Themen. 2011 lief sein Fernsehfilm "Restrisiko" zu einem Unfall in einem Atomkraftwerk, 2015 das engagierte, kompromisslose Drama "Die Ungehorsame" über häusliche Gewalt. 2017 drehte er in Iran den Film "Grüß Gott, Persien".

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie während der Dreharbeiten etwas von der explosiven Stimmung gespürt?
Beck: Ich war bestürzt über die Plötzlichkeit dieser Proteste. Diese Empörung war während der Dreharbeiten nicht mal in Ansätzen zu spüren. Allerdings haben wir uns im Iran in einer Blase bewegt, unter Filmschaffenden. In unserem Film geht es auch nicht um die Arbeiterklasse, sondern um eine privilegierte Schicht. Was ich bemerkt habe, ist eine weit verbreitete große Unzufriedenheit unter jungen Leuten. Insbesondere junge Frauen haben geklagt: Sie werden ausgebildet, studieren und haben dann auf dem Arbeitsmarkt kaum Aussichten, sich zu entwickeln. Genau darum geht es auch in unserem Film, und das durften wir ohne Probleme thematisieren.
SPIEGEL ONLINE: Haben die Menschen offen mit Ihnen gesprochen?
Beck: Ja. Ich bin in der DDR sozialisiert worden und hatte den Eindruck, dass es sehr viele Parallelen zwischen Iran und der DDR gibt. Im privaten Kreis äußert man sich sehr klar, aber außerhalb dieses Raums vertritt man entweder eine andere oder gar keine Meinung.
SPIEGEL ONLINE: Hatten die Menschen keine Angst, mit Ihnen als Außenstehendem darüber zu sprechen?
Beck: Nein, hatten sie nicht. Das sind natürlich vertrauliche Gespräche gewesen, jeder ging davon aus, dass man das nicht an die große Glocke hängt. Man darf sich die iranische Gesellschaft nicht nur repressiv vorstellen. Innerhalb bestimmter Grenzen sind sehr viele Dinge möglich. Das war zumindest mein Eindruck.
SPIEGEL ONLINE: Wurden Ihre Begegnungen mit Iranern behindert oder kontrolliert?
Beck: Nein, ich habe während der gesamten Zeit keinerlei Behinderungen feststellen können.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie aktuell Kontakt zu Iranern, die Sie dort kennengelernt haben?
Beck: Ja, sie berichten, im Norden Teherans sei es sehr ruhig. Die Proteste in der Stadt konzentrieren sich auf den Süden. Teheran ist eine gespaltene Stadt. Im Norden wohnt eher die Mittel- und Oberschicht, im Süden Menschen, die weniger verdienen und denen es nicht so gut geht. Das hat auch mit klimatischen Bedingungen zu tun. Die Temperaturunterschiede innerhalb der Stadt sind enorm, was wohl mit den extremen Höhenunterschieden zusammenhängt. Während wir im höher gelegenen Norden Teherans 25 bis 28 Grad hatten, herrschten im Süden zur selben Zeit 33 Grad. Iranische Kollegen, mit denen ich telefoniert habe, haben von den Unruhen relativ wenig mitbekommen, denn die Proteste gehen wohl von Menschen aus, die von Armut und hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind.
SPIEGEL ONLINE: Die Dreherlaubnis haben Sie innerhalb weniger Monate erhalten. Wie erklären Sie sich die schnelle Genehmigung?
Beck: Das war erstaunlich. Auch die Deutsche Botschaft in Teheran war verblüfft, dass wir das so hinbekommen haben. Die Drehgenehmigung hängt deshalb noch bei mir an der Wand. Wir haben unser Projekt mit Siamak Poursharif, dem Leiter des Deutsch-Iranischen Filmfestivals in Köln, besprochen und dann mit ihm den iranischen Botschafter in Berlin, Ali Majedi, besucht. Er war dem Projekt gegenüber von Anfang an sehr aufgeschlossen und hat sofort begriffen, dass solch ein Film gut sein kann für die iranisch-deutschen Beziehungen. Außerdem denke ich, dass es nach dem Abschluss des Atom-Deals eine grundsätzliche Bereitschaft für eine filmische Zusammenarbeit gab.
SPIEGEL ONLINE: Wurden Sie bei den Dreharbeiten eingeschränkt?
Beck: Nein. Allerdings gab es drei, vier Szenen, darunter eine Partyszene, die man in Iran so nicht drehen darf. Das war von vornherein klar. Die haben wir später in München nachgedreht mit Komparsen aus dem Iran und der Türkei. Auch dürfen sich Frauen und Männer in einem Film in Iran nicht körperlich berühren. Deshalb mussten wir eine Liebesszene, eine Schlüsselszene, in Deutschland drehen.
SPIEGEL ONLINE: Schwierig für eine Liebeskomödie.
Beck: Stimmt, aber gute Liebeskomödien hören ja immer dann auf, wenn die Liebe besiegelt ist. Den Alltag zeigen diese Filme nicht, sondern den Weg dorthin. Darum geht es auch in unserem Film, um zwei Menschen, die sich eigentlich unsympathisch sind und sich gegen ihren Willen ineinander verlieben.
SPIEGEL ONLINE: Der Film soll in Iran gezeigt werden. Werden diese Szenen dann entfernt?
Beck: Für eine der Liebesszenen haben wir eine Alternative gedreht. Da kommen sich die beiden körperlich nicht nahe. Aber der Inhalt des Dialoges bleibt vollständig gleich. Die Partyszene wird in Iran nicht zu sehen sein.
SPIEGEL ONLINE: Geben Sie damit nicht den Religionsdiktatoren zu sehr nach?
Beck: Wir haben darüber offen diskutiert. Uns war wichtig, dass der Kern des Films erhalten bleibt, dass wir uns dialogisch nicht beschneiden müssen. Wir zeigen zum Beispiel eine Kontrolle durch die Religionspolizei, die Festnahme des Hauptdarstellers, der nach der Party betrunken aufgegriffen wird. Das durften wir drehen und zeigen. Und war wichtig, dass wir mit diesen Dreharbeiten eine Tür geöffnet haben.
SPIEGEL ONLINE: Könnte es sein, dass sich solche Türen angesichts der aktuellen Proteste wieder schließen?
Beck: Das ist schwer einzuschätzen. Ich habe mit iranischen Kollegen in den letzten Tagen darüber gesprochen, und sie haben mir versichert, dass diese Türen nicht zugehen werden, weil bestimmte Prozesse aus ihrer Sicht nicht mehr umkehrbar sind. Die iranische Gesellschaft wird sich mehr öffnen, davon bin ich zutiefst überzeugt. Dass wir diese Dreharbeiten dort durchführen konnten, ist ja ein Zeichen.
Der Deckel muss vom Topf, um mehr Freiheit zu ermöglichen, gerade für junge Leute. Die dauerhafte Kontrolle und Bevormundung hat in der DDR nicht funktioniert, und sie wird am Ende auch in Iran nicht funktionieren, zumal es heute das Internet gibt. Alle Leute, die ich kennengelernt habe, sind sehr gut informiert. Sie sind alle untereinander vernetzt, greifen über VPN-Server auf jede Website dieser Welt zu. Der Deckel ist schon längst angehoben.

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