Mitte 60, also jenseits von Gut und Böse

Die Kabarettistin Maren Kroymann, Jahrgang 1949, wurde in den Neunzigerjahren durch ihre Satiresendung "Nachtschwester Kroymann" bekannt. Als Schauspielerin ist sie regelmäßig im Fernsehen zu sehen, vor zwei Jahren auch in der Kino-Literaturverfilmung "Mängelexemplar". Seit einem Jahr läuft in der ARD ihre neue Satiresendung "Kroymann". Dafür wird sie Mitte April mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
SPIEGEL ONLINE: Sie bekommen den Grimme-Preis für Ihre Sendung "Kroymann". Was bedeutet dieser Preis für Sie?
Kroymann: Ich empfinde ihn als eine großartige Anerkennung. Er ist ein Zeichen dafür, dass die Arbeit meines Teams bei "Kroymann" heute mehr gewürdigt wird als meine Sendung "Nachtschwester Kroymann" vor zwanzig Jahren. Die Sendung damals war auch schon anarchisch, politisch inkorrekt und enthielt Ideen, die kein anderer sonst hatte. Man hat das Avantgardistische nicht gesehen, obwohl ich eine Pionierin war. Jetzt ist es soweit, dass so eine Art Sendung auch auf offizieller Ebene gut gefunden wird. Dafür bin ich total dankbar.
SPIEGEL ONLINE: Avantgardistisch erscheint heute, dass Sie mit 68 Jahren eine eigene Sendung machen dürfen.
Kroymann: Total antizyklisch! Eigentlich wäre ich jetzt Rentnerin. Ich bin alt, ich habe keine Familie, keine Kinder. Davor hatten früher alle Angst. Nun sehe ich an mir selbst, was man in diesem Alter alles machen kann. Es ist die vielleicht beste Phase meines Lebens. Ich habe mich noch nie getraut, mich selbst so rückhaltlos in den Mittelpunkt meines Lebens zu stellen.
SPIEGEL ONLINE: Hadern Sie wirklich nicht mit Ihrem Alter oder gesundheitlichen Einschränkungen?
Kroymann: Ich sage nicht, dass ich nicht unter den Zipperlein leide. Ich merke die Knie, vielleicht kann ich nie wieder joggen. Ich brauche mehr Zeit zum Auswendiglernen. Aber ich bin mir selbst noch nie so nah gewesen.
SPIEGEL ONLINE: Programmverantwortliche haben Ihnen die Sendung "Kroymann" gegeben, obwohl das für Frauen über 40 eher selten ist. Sind ältere Frauen im Fernsehen also wieder salonfähig?
Kroymann: Das würde ich noch nicht im Plural sagen. Ich empfinde es als Privileg, dass ich diese Sendung machen darf, gerade weil Schauspielerinnen eher in einer Art Alterslosigkeit verharren und versuchen, so lange wie möglich jung zu erscheinen. Die Sendung ist ein Glücksfall! Der Druck ist weg, auch der Druck, Weiblichkeitsvorgaben zu entsprechen.
SPIEGEL ONLINE: Bei Ihnen oder beim Sender?
Kroymann: Bei mir. Ich empfinde nicht mehr den Druck, mich auf Fotos und dem roten Teppich in Szene zu setzen. Ich muss nicht mehr bühnenschön sein. Es zählt, dass ich schlau bin, Dinge begreife und dass ich Urteilsfähigkeit habe.
SPIEGEL ONLINE: Schauspielerinnen beschweren sich, nach ihrem 40. Geburtstag erhielten sie nur noch Rollenangebote als Großmutter oder als Hexe.
Kroymann: Ich finde, Hexe ist eine attraktive Rolle. Das Böse ist differenzierter, lässt mehr Facetten zu als die junge Naive mit dem Busen. Eine Hexe hat Macht.
SPIEGEL ONLINE: Wird das Problem auch durch die Sichtweise Ihrer Kolleginnen geschaffen?
Kroymann: Ich selbst bin erst mit 37 in die Branche gekommen, ich war nie die jugendliche Schönheit. Es hat Vorteile, wenn man seine Karriere gar nicht darauf aufgebaut hat.
SPIEGEL ONLINE: Russell Crowe hat mal behauptet, die Beschwerden kämen nur von Kolleginnen, die mit über 40 noch die 21-jährige Unschuld spielen wollten.
Kroymann: Das finde ich krass, es klingt frauenfeindlich. Der Schönheitswahn in Hollywood ist noch von ganz anderem Kaliber. Aber auch hier in Deutschland entsteht im Kolleginnenkreis eine Art Panik und sehr viele lassen sich bearbeiten, weil sie denken, noch länger die Liebhaberin spielen zu können. Dieser Gedanke wird genährt von Casterinnen, Agentinnen, manchmal von Maskenbildnerinnen, die sagen: Deine Lippenfalten - ich wüsste schon, was du machen könntest. Ich habe gehört, wie ein bedeutender Kameramann sich über nicht geliftete Frauen empörte, die erwarten, dass man schönes Licht für sie macht. Sie sollten sich doch bitte liften lassen und nicht die Arbeit aufhalten. Von solchen Haltungen sind wir umgeben. Da ist es falsch zu sagen, die Frauen lassen sich ja darauf ein.
SPIEGEL ONLINE: Werden diese Schönheitseingriffe honoriert? Bekommen Schauspielerinnen danach bessere Rollen?
Kroymann: Bestimmte Rollen ja. Ich bin Mitte 60, also jenseits von Gut und Böse. Zwanzig Jahre nach meinem Coming-out als lesbische Frau darf ich wieder sexy sein und sexy Momente spielen. Wahrscheinlich weil es in meinem Alter keine Bedrohung mehr darstellt.
SPIEGEL ONLINE: Berührt Sie die #MeToo-Debatte?
Kroymann: Als lesbische Feministin bin ich nicht das bevorzugte Ziel von Heteromachos. Aber ich habe mitbekommen, wie aus Flirt Aggression wird. Ich kriege mit, wie am Set körperliche Kontakte laufen, da bleibt zum Beispiel bei der Begrüßung der Maskenbildnerin die Hand ein bisschen länger liegen.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich in der Branche etwas geändert?
Kroymann: Es läuft nicht mehr so plump ab. Aber es ist nicht vorbei. Um etwas dagegen sagen zu können, braucht es eine gewisse Reife. Dazu gehört eine Gesellschaft, die anerkennt, dass es sich um Übergriffe handelt. Bisher wurde gesagt: Es ist doch ein Kompliment, wenn der dich anfasst. Sei froh! Solange eine Frau solche Kommentare hört, wehrt sie sich nicht öffentlich.
SPIEGEL ONLINE: Warum hält sich die Struktur so lange?
Kroymann: Die Hollywood-Schauspielerinnen haben innerhalb einer Woche mehrere Millionen Dollar gesammelt, um Rechtsbeistand für betroffene Frauen zu finanzieren. Bei uns hat sich kaum eine der wirklich berühmten Frauen geäußert. Vielleicht weil sie wissen, dass Frauen im Zweifelsfall von den angeklagten Männern mitunter profitiert haben. Ich finde, zu einer Aufarbeitung dieser Sache gehört auch, dass Frauen zugeben, davon profitiert zu haben. Ich habe das am Theater mitgekriegt, wie ein Regisseur eine Frau, auf die er eigentlich scharf war, besonders fertiggemacht hat. Dann hat er unter körperlichem Einsatz ihr Ego wieder aufgebaut. Und am Schluss waren sie ein Ehepaar. Die Frau würde sich nicht beschweren, sie hat den Mann hinterher geheiratet, aber der Vorgang war schrecklich.
SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt einen Unterschied zwischen Liebesverhältnissen und Flirts auf der einen Seite und Belästigung oder gar Missbrauch auf der anderen.
Kroymann: Am Theater oder beim Drehen kommt man sich sehr nah, es muss keine Liebesszene sein. Du hast eine Intensität, du musst dich öffnen, so eine Situation ist wie gemacht für Übergriffe. Du musst selbst jeden Moment entscheiden: Bin ich das? Ist das die Rolle? Und natürlich verliebt man sich mal oder flirtet. Aber man sollte nicht flirten müssen, um eine Rolle zu kriegen oder mit dem Regisseur gut auszukommen. Frauen gehören in Machtpositionen! Das schafft dann auch ein anderes Klima.