"Tatort"-Kommissarin über den Schauspielberuf: "Zartheit und Verletzlichkeit, die mir vorher nicht aufgefallen war"

SPIEGEL ONLINE: Frau Broich, vor der Schauspielkarriere waren Sie professionelle Fotografin. "Tatort"-Kommissarin Anna Janneke, die Sie seit 2015 spielen, hat immer eine Kamera dabei. War das Ihre Idee?
Broich: Ja. Ich dachte: Waffen sind nicht so mein Ding, dann lieber Fotos schießen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie als Schauspielerin Einfluss auf die Entwicklung der Figur?
Broich: Vor unserem ersten "Tatort" wurden die Figuren gemeinsam mit der Redaktion entwickelt. Anna Janneke sollte ein bisschen kauzig und fahrig sein. Oft sind TV-Kommissare ja nicht so gut gelaunt, manchmal eher muffig. Da wollte ich etwas anderes probieren. Gute Laune als Ermittlungstaktik sozusagen. Aber jedes neue Drehbuch muss vielen Anforderungen genügen, da bleiben natürlich einige Ideen auf der Strecke.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?
Broich: Meine Frau Janneke hatte in der ersten Folge einen Sohn. Der war mit Rucksack, Freundin und Baby - Oma ist Janneke also auch! - in Australien unterwegs, und wir haben miteinander geskypt. Er tauchte danach nie wieder auf. Vor Kurzem habe ich den jungen Kollegen zufällig in Berlin getroffen und ihn gefragt, wo er eigentlich abgeblieben sei. "Ich bin wohl im Drehbuch verschwunden", war seine Antwort.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben als Theaterfotografin gearbeitet, bevor Sie Schauspielerin wurden. Wie kam es zu dem Wechsel?
Broich: Ich war vom Geschehen auf der Bühne manchmal so verzaubert, dass ich vergessen habe, auf den Auslöser zu drücken. Theaterarbeit ist ein Mannschaftssport. Fotografen arbeiten allein. Das war sicher ein Grund, die Seiten zu wechseln.
SPIEGEL ONLINE: Aber das war nicht der einzige Grund, oder?
Broich: Nein. Vor allem war es Liebe. Viele Jahre später hatte ich eine Fotoausstellung mit großformatigen Abzügen von Otto Sander, Martin Wuttke, Sophie Rois und anderen Kollegen. Ich betrachtete meine Fotos mit etwas Abstand und verliebte mich förmlich ein zweites Mal in die Schauspielerei.
SPIEGEL ONLINE: Was begeisterte Sie?
Broich: Die Porträtierten waren von einer Zartheit und Verletzlichkeit, die mir vorher nicht aufgefallen war. Alle Aufnahmen sind nur Minuten nach Vorstellungsende entstanden. Die Schminke war verrutscht, die Ohren rot, der Blick müde und doch voller Adrenalin, kein Darstellungstrieb. Also kein Glamour - aber was für ein toller Beruf, was für wunderbare Menschen. In den Minuten nach der Vorstellung sind Schauspieler in einem seltsamen Schwebezustand, zwischen der Rolle und sich selbst. Ein eher einsamer Moment. Meine Bilder sind aus dem Inneren des Theaters gemacht. Da haben sich meine beiden Berufe, die Schauspielerei und die Fotografie, die Hand gegeben.
SPIEGEL ONLINE: Inzwischen stehen Sie häufiger vor der Filmkamera als hinter dem Fotoapparat oder auf der Bühne. Verzaubert ein Dreh ähnlich wie ein Bühnenauftritt?
Broich: Theaterschauspielerin oder Filmschauspielerin, das kommt mir vor wie zwei verschiedene Berufe. Theater ist viel körperlicher. Das ist Berserkerarbeit, anstrengend, martialisch. Da war ich hin und wieder verzweifelt.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Broich: Das Spielen hat mir immer sehr großen Spaß gemacht, aber die Proben waren oft dornig. Wenn man ein Foto macht und es wird kritisiert, dann redet man über eine Sache. Auf der Bühne bin ich selbst das Objekt, an dem herumgefeilt wird. Ich fühlte mich manchmal persönlich angegriffen und habe dann grundsätzlich gezweifelt. Das hat das Arbeiten für den Regisseur und auch für mich nicht einfacher gemacht. Der Ton im Theater ist oft sehr rau. Man muss funktionieren und zwar immer, auch mit Fieber, an Weihnachten, Ostern, Neujahr. Die großen Theaterregisseure der Achtziger- und Neunzigerjahre waren Götter, da wurde gerne mal gebrüllt.
SPIEGEL ONLINE: Und beim Drehen passiert das nicht?
Broich: Da habe ich das nie erlebt. Beim Drehen wird mehr für die Schauspieler gesorgt. Außerdem war ich Mitte 40 und sehr erfahren, als ich regelmäßig zu drehen begann.
SPIEGEL ONLINE: Warum läuft es beim Film so anders als auf der Bühne?
Broich: Die wochenlange Probenarbeit am Theater ist eher suchend, schon deshalb wird es manchmal chaotisch. Beim Filmen gibt es einen strengen Drehplan, da muss ich für Minuten, manchmal nur Sekunden ganz auf dem Punkt sein. Laute Auseinandersetzungen sind da kontraproduktiv.
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Broich: Wir haben uns im Flugzeug kennengelernt. Wir wurden beide gebeten, andere Plätze einzunehmen, und saßen schließlich nebeneinander. Als ich über die verhedderten Gurte lachen musste, habe ich ihn gefragt, ob er den Sketch von Loriot im Flugzeug kennt. Daraufhin antwortete er: "Oh ja, die Duineser Elegien von Rilke." Die kommen tatsächlich in dem Sketch vor. Das war der Startschuss für ein lustiges eineinhalbstündiges Gespräch - und für mehr.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet eine solche Begegnung in diesem Abschnitt Ihres Lebens?
Broich: Es ist eine wunderbare Erfahrung, die einen aus der Kurve trägt, mit 20 ebenso wie mit 60. Aber da ist auch eine bittersüße Note, weil man eben keine 50 Jahre mehr vor sich hat. Alles wird kostbarer, vielleicht dadurch auch doppelt schön.
SPIEGEL ONLINE: Beneiden Sie Ehepaare, die tatsächlich zusammenbleiben, bis dass der Tod sie scheidet?
Broich: Eigentlich gefällt mir der Gedanke, denn so eine Trennung ist anstrengend. Erst mal fliegt einem alles um die Ohren. Aber wenn das Dach wegfliegt, kann man immerhin die Sterne sehen.