Aussteigerin auf Zeit

Sie hatte sich alles ganz anders und einfacher vorgestellt, als sie Mitte Januar sehr früh am Morgen ins Flugzeug nach Nairobi stieg, noch mit rosaroter Brille auf der Nase und dem Bewusstsein, alles würde sich fügen und toll werden. Und nun, um einige Erfahrungen reicher, bleibt da neben der Erinnerung an majestätische Wüstentiere, idealistische Menschen und bezaubernde Natur auch ein unangenehmer Nachgeschmack.
"Leaving the Frame" nennt die 25-jährige Schauspielerin Maria Ehrich ihr Reiseprojekt, das sie innerhalb von vier Monaten durch vier Länder führen soll. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Journalisten Manuel Vering, hat sie ihr gewohntes Leben verlassen, um Erfahrungen zu sammeln und einen Film zu drehen, ausgestattet mit zwei handlichen Kameras, Laptops und einer Kameradrohne. Auf diversen Social-Media-Plattformen und einer eigenen Website nimmt sie ihre Fans und Freunde mit nach Kenia, Hawaii, Mexiko und dann vielleicht nach Norwegen.
Bisher blieb ihr nicht viel Zeit zum Reisen, steht sie doch seit ihrem zehnten Lebensjahr regelmäßig vor der Kamera. Nein, die Eltern sind keine Schauspieler, aber die Mutter nah dran am Gewerbe. Sie arbeitet in einem Kostümverleih, ihr Vater betreibt eine Diskothek in Gebesee, einem kleinen Ort bei Erfurt. "Bis ich zwölf war, bin ich oft von den Bässen aufgewacht. Dann sind wir umgezogen."
Irgendwann las die Mutter einen Aufruf in der Regionalzeitung: Kinder-Schauspieler gesucht. Maria wurde zu drei Castings eingeladen und bekam mit zehn ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm. Von da an stand sie vor der Kamera, machte ihr Abitur nebenbei. Montags bis Freitags drehen, Samstags lernen, Sonntags Prüfungen nachschreiben. "Zu viel Party gefeiert?" fragte der Regisseur Montagmorgen am Set, um eine Erklärung für die dunklen Augenringe zu bekommen. Nein, sie hat lange gelernt. "Es war also gar nicht so Rock 'n' Roll, wie man sich das vorstellt", sagt Ehrich.
Jetzt also das große Reiseprojekt, das aus der Filmwelt hinausführen soll. "In Afrika hat sich mein Horizont im Sekundentakt erweitert", sagt Ehrich. Sie wollten nicht einfach Touristen sein, sondern den Menschen vor Ort nahe kommen: Schlafen im Baumhaus unterm Sternenhimmel in dem Bewusstsein, dass hin und wieder auch Leoparden leise in die Wipfel klettern. Eine Fischvergiftung durch verdorbene Shrimps. Das waren keineswegs die größten Herausforderungen: "Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe", sagt Ehrich. Denn im Grunde ging es bei ihrer ersten Reiseetappe immer nur ums Geld.
Dass die Drohne schon beim Dreh des Trailers in Südtirol geschrottet wurde, haben Ehrich und Vering nicht als schlechtes Omen verstanden. "Die Drohne hat Sensoren, damit sie nirgendwo gegenfliegt, aber leider nur vorne..." Maria Ehrich rollt mit den Augen. "Wir haben unsere Drohne rückwärts fliegen lassen - in eine Baumgruppe. Es klang wie ein Rasenmäher. Die Äste waren klein gehäckselt und die Drohne mehr oder weniger auch."
Eine neue fliegende Kamera wurde angeschafft. Doch in den kenianischen Nationalparks gilt Drohnenverbot. Das konnten die beiden nachvollziehen, aber: "Das kenianische Hakuna Matata mussten wir erst verstehen lernen. Erst scheint alles immer total easy, kein Problem, heißt es, aber am Ende erweist sich vieles doch schwieriger als gedacht. Trotz unserer kleinen Ausstattung brauchten wir für alles eine Genehmigung und mussten viele Gebühren zahlen."
Das waren schon die ersten Anzeichen eines Kultur-Clashs, der die Ursache für eine ganze Reihe von Enttäuschungen wurde. Nach wie vor klafft in der kenianischen Gesellschaft ein tiefer Graben zwischen Schwarz und Weiß. "Wir hätten gerne einen guten Mix gehabt und uns gewünscht, mehr am Alltagsleben teilhaben zu können. Das war leider nur selten möglich," bedauert Maria Ehrich. Zugang zur Welt der Weißen haben sie gefunden, aber "eine gute Nähe zu dunkelhäutigen Kenianern ist nur selten entstanden". Eingezäunte Wohnanlagen, die sie nachts nicht verlassen durften - so hatten sie sich "Leaving the Frame" nicht vorgestellt. Doch Ausbruchsversuche sind zum Scheitern verurteilt gewesen.
Einmal haben sie ihren Fahrer gefragt: "Du James, wir würden gerne eine Nacht eine einfache Unterkunft haben, keine teure Lodge, einfach nur ein Bett. Können wir dort schlafen, wo du schläfst?" James war gar nicht begeistert und bestand darauf, die Gäste in einem "europäischen" Hotel abzuliefern. "Dass wir anders behandelt wurden, war mir unangenehm", sagt Ehrich.
Dann das erste Interview. Maria Ehrich in einer neuen Rolle, nicht als Schauspielerin, sondern als Fragende. Sie besuchten Unity, ein Frauendorf, bewohnt von Frauen, die Misshandlungen, Vergewaltigungen und der Tyrannei ihrer Männer entkommen sind. Ehrich und Vering wollten dokumentieren, was diese Frauen Großartiges geleistet haben. Sie kamen mit besten Absichten, wollten Authentizität.
Die Frauen wollten etwas ganz anderes, nämlich Geld. Und zwar mehr Geld, als sie normalerweise für eine touristische Führung durch ihr Dorf verlangen. Das hatten die beiden nun davon, dass sie mehr sein wollen als normale Touristen. Ehrich und Vering sind nicht arm, aber sie sind jung und haben kein unbegrenztes Budget für ihr Weltreise-Projekt - und vor allem glauben sie nicht, dass man Echtheit kaufen kann.
Auf die Tänze zum Beispiel, die die Frauen den Besuchern des Dorfes gegen Bezahlung vorführen, wollte Ehrich lieber verzichten. "Wir wollen diese Tänze nur sehen, wenn die Frauen wirklich Lust darauf haben", ließ sie den Guide wissen. "Wir möchten, dass es authentisch ist, weil wir unsere Geschichte auf eine hintergründige Art erzählen wollen."
Ideelles gegen Materielles. Die Rechnung ging nicht auf. Die Frauen seien abwehrend und zugeknöpft geblieben, erzählt Ehrich. Sie saß in Unity auf einer Pappe am Boden, vor ihr thronte, so empfand es die Schauspielerin zumindest in dem Moment, die Sprecherin des Dorfes auf einem schäbigen Eimer und wollte nur eines: mehr Geld! "Mit jeder Geste und jeder Miene gab sie mir zu verstehen: Du bist hier nicht willkommen."
Das Ganze war ein riesiges kulturelles Missverständnis - und das hat Ehrich sehr mitgenommen, wie auf dem Film ihres Freundes zu sehen ist. Kenia zu verstehen, ist für Europäer nicht gerade leicht. Trotzdem, andere Reisende oder Journalisten machen durchaus positivere Erfahrungen. Woran lag es, an der Einstellung? "Ich war nicht gut vorbereitet, habe das alles zu sehr auf die leichte Schulter genommen", erklärt die 25-Jährige. Nach dem Besuch in dem Frauendorf sei klar gewesen: "Diese Menschen wohnen hier und wir wollen etwas von ihnen. Das heißt, wir müssen unsere Herangehensweise ändern." Seither nehmen sie sich mehr Zeit vor Ort, um das Vertrauen ihrer Interviewpartner zu gewinnen.
Und so waren die folgenden Besuche bei Menschen, die sich für Elefantenwaisen, aussterbende Schildkröten und bedrohte Raubvögel einsetzen, erfolgreicher. Doch auch hier begleitete sie der Widerspruch: Während erlebnishungrige Touristen die Refugien gefährdeter Tierarten stören, helfen sie gleichzeitig, den Artenschutz zu finanzieren. Ein Widerspruch, der vielen Reisen in ärmere Länder innewohnt. Es ist oft eine Gratwanderung zwischen europäischem Ideal und der Wirklichkeit vor Ort.
Das alles erzählte Maria Ehrich in Berlin auf einem kurzen Zwischenstopp zur Berlinale. "Schon komisch, gerade noch bei den Schildkröten in Watamu und jetzt mit dem Champagnerglas durch die Kinowelt." Inzwischen sind die Schauspielerin und ihr Freund in Hawaii, im Gepäck ihre Ukulele, die helfen soll, die Herzen der Hawaiianer zu gewinnen.
Zur Person
Maria Ehrich, Jahrgang 1993, drehte ihren ersten Film mit zehn Jahren. Seither steht sie regelmäßig vor der Kamera, unter anderem für "Die Frau vom Checkpoint Charlie". 2013 erhielt sie den New Faces Award für ihre Darstellung der jungen Alma Schadt in "Das Adlon". Ab 18. März ist sie im ZDF-Dreiteiler "Ku'Damm 59" zu sehen.