Bloß keine Integrationsfilme

© NDR/Banana Tree Film/Daniela Incoronato
Vom Rapper und Bauarbeiter zum Schauspieler: Murathan Muslus Karriere ist ungewöhnlich. Als Wiener mit türkischen Wurzeln hat er seinen eigenen Blick auf die Frage nach der Herkunft - und den Begriff Integration. Ein Gespräch für Spiegel Online
Spiegel Online
04.04.2018

Murathan Muslu, Jahrgang 1981, ist ein mehrfach ausgezeichneter Schauspieler. Für eine seiner ersten Rollen ("Risse im Beton", 2014) erhielt Muslu Preise als bester Darsteller. Zuvor hatte er sich als Rapper Aqil mit der Band Sua Kaan einen Namen gemacht. Muslu wuchs als Sohn türkischer Eltern in Wien auf, wechselte häufig die Schule und arbeitete schließlich als Installateurshelfer auf dem Bau. Im Film "Das deutsche Kind" spielt er einen angehenden Imam, der mit seiner Frau nach dem Tod einer Freundin deren kleine Tochter bei sich aufnimmt.

Murathan Muslu, ein sanfter Kerl mit durchtrainiertem bulligen Körper und charmantem Wiener Tonfall, wird wortkarg, wenn er auf seine Kindheit und Jugend in Ottakring angesprochen wird. In diesem Wiener Bezirk mit hohem Migrantenanteil und teilweise offenem Drogenhandel ist Muslu geboren und aufgewachsen. Die abgebrochenen Schneidezähne hat er allerdings keiner Rauferei zu verdanken, sondern einer zu schnellen Rutschpartie im Schwimmbad. Die Zahnlücke mag etwas seltsam wirken für seine Rolle als Staatsanwalt in der Serie "Schnell ermittelt", aber Regie und Maskenbildner hat es nicht gestört.

Seine Gagen für Fernsehfilme und Serien würden es ihm inzwischen erlauben, in ein nobleres Viertel zu ziehen. Aber er bleibt in einer Ottakringer Wohnung. Muslus Eltern sind aus der Türkei eingewandert. Aber das sei nicht wichtig, meint er, sie könnten genausogut aus Haiti, Island, aus Österreich oder Deutschland stammen. "Ich finde, es ist vollkommen egal, woher jemand kommt in so einer komplexen und meist traurigen Welt, wo so viel Dummes passiert. Wir sollten uns nicht so viele Gedanken über die Herkunft machen."

Auch deshalb möchte Muslu am liebsten gar nicht über das Aufeinanderprallen von Ethnien und Kulturen sprechen, er meidet das Wort Integration. "Man muss echt aufpassen mit solchen Wörtern, denn am Ende lautet die Schlagzeile: Integrationsfilm. Und damit lenkt man die Leute in eine bestimmte Richtung. Man sollte auf die menschlichen Konflikte achten." Am liebsten würde Muslu auch den Begriff "Land" nicht mehr benutzen, sondern von "Regionen auf unserem Planeten" sprechen. "Das ist naives Denken, ich weiß, so wird es nie werden, aber ich halte es für wünschenswert."

Aber prägen Herkunft und Milieu einen Menschen nicht? Doch, findet Muslu, man solle die unterschiedlichen Kulturen auch pflegen, dabei aber keine Grenzen ziehen. "Das ist wohl einer meiner größten Schätze, dass ich diese künstlichen Trennungen nie an mich herangelassen habe." Sobald er das tue, fühle er sich marginalisiert.

Künstliche Trennungen hat er, der Ottakringer Junge, selbst erlebt. Ging er früher in ein türkisches Kaffeehaus, spürte er sofort, wie die anderen sich fragten, ob er ein Bulle sei. Unter Österreichern wiederum fühlte er sich als Türke. "Von klein auf habe ich eine Abneigung gegen diese Außenseiterrolle, obwohl sie mir auch einen positiven Gedanken mitgegeben hat: Cool, ich bin etwas Einzigartiges."

Wer weiß schon, wie lange der Erfolg anhält?

Ziemlich einzigartig verlief auch seine Karriere, wild und ungeplant. Als 15-Jähriger gründete er als Aqil - sein Rapper-Name - mit anderen die Hip-Hop-Band Sua Kaan, die sich im Laufe der Jahre professionalisierte und 2007 mit "Balkanaken" das bis dahin meistgesehene Rap-Video Österreichs produzierte.

Konservative Politiker warfen ihnen Aufruf zum Straßenkampf vor. Doch Muslu betont, es sei ihnen nie um Drohungen gegen Einheimische gegangen, sondern um einen schonungslosen Blick auf den Zustand im Bezirk.
Durch die gemeinsame Arbeit an Musikvideos mit dem Regisseur Umut Dag fand Muslu seinen Weg in die Filmbranche. Eine Schauspielausbildung hat er nicht absolviert. Will er auch nicht. Die intensive Beschäftigung mit den Figuren ist seine Art der Vorbereitung.

Wenn er ein Drehbuch liest, dann interessiert ihn nicht, ob die Figuren Mahmut oder Christian heißen. "Ich sehe nur die zwischenmenschlichen Probleme und beachte beim Lesen nicht, woher jemand kommt."

Bei vielen Rollen spielte Muslus Herkunft aber doch eine Rolle - oft musste er den Südländer spielen. Inzwischen erhält er auch Rollenangebote jenseits des Klischees. Ein Zeichen, dass er zum Film-Establishment gehört? Nein, findet er. Wer weiß schon, wie lange der Erfolg anhält, wie lange noch neue Angebote kommen?
"Ich hab's im Fußball nicht geschafft, ich hab's in der Musik nicht geschafft und im Film habe ich es auch noch lange nicht geschafft."

Was, wenn es nicht mehr klappt? Vielleicht müsste er dann wieder auf dem Bau arbeiten, wie er es jahrelang gemacht hat. Momentan ist er jedoch weit davon entfernt. Wie erklärt er sich seinen heutigen Erfolg? "Ich habe einfach Glück gehabt. Kismet würden wir sagen." Kismet, das unabwendbare Schicksal.