Wotan Wilke Möhring – Zweieinhalb Leichen pro Tatort

© Michael De Boer
Hilft es in einer brenzligen Situation im echten Leben, wenn man als Schauspieler schon Gewaltszenen gespielt hat? Nein, sagt Wotan Wilke Möhring. Dabei hat er sich schon mit Skins angelegt und eine Massenschlägerei erlebt.
Spiegel Online
03.11.2018

Wotan Wilke Möhring, Jahrgang 1967, einst Waldorfschüler und Punkmusiker, Zeitsoldat bei den Fallschirmjägern, gelernter Elektriker, Türsteher, Clubbesitzer und Model, ist heute bekannt als "Tatort"-Kommissar Thorsten Falke und Hauptdarsteller in zahlreichen Kinofilmen. Als Staatsanwalt vegegnet man ihm in der Serienverfilmung von Patrick Süßkinds Roman "Das Parfum". Sein Film-Debüt gab er erst mit 31 Jahren in der "Bubi-Scholz-Story".

SPIEGEL ONLINE: Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie die Brutalisierung der Gesellschaft befürchten. Tragen nicht viele Krimis und Thriller dazu bei, in denen Sie mitspielen? Zweieinhalb Leichen gab es 2017 durchschnittlich pro "Tatort".

Möhring: Das glaube ich nicht. Wer entspannt in einen Film geht, kommt nicht raus und hat Bock, sich zu kloppen. Aus einem Film geht man eher berührt, verwirrt, fröhlich oder gelangweilt raus. Klar, es kann ein Wagnis sein, einen Film anzuschauen: Man geht entspannt ins Kino und schaut sich einen tollen, aufwühlenden Film an und danach ist alles anders, weil der Film einen so mitgenommen hat und alles aus dem Gleichgewicht bringt. Aber wer selbst gewalttätig wird, kann das nicht auf ein einzelnes Filmerlebnis schieben. Das ist viel zu einfach.

SPIEGEL ONLINE: Sind Ihnen Gewalt, Brutalität und Tod im wirklichen Leben begegnet?
Möhring: In meinen wilden Jahren, da war ich um die achtzehn, hat mir mal einer von hinten ein Messer durch die Jacke gestochen, später hielt mir jemand eine Knarre an den Kopf, als ich auf dem Fahrrad saß. Ich habe auch schon echte Tote gesehen, war dabei, als jemand erschlagen wurde, und auch bei einer Massenschlägerei. Also: ja.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben viel mehr Gewalt erlebt als der Durchschnittsdeutsche!

Möhring: Aber ich weiß nicht, ob die Pistole echt war. Außerdem ist mir nichts Schlimmes passiert. Einmal allerdings wollten Skinheads unsere Punk-Party stürmen. Skins prügeln und Punks werden verprügelt, das fand ich schon immer daneben. Man muss sich wehren. Ich habe also gesagt: Los, gehen wir raus und vertreiben sie. Dann ist die Tür hinter mir zugefallen und ich war als einziger draußen. Ich bin dann im Krankenhaus mit einer Gehirnerschütterung und anderen Verletzungen aufgewacht. Ich konnte mich an nichts erinnern.

SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich in böse Figuren gut hineindenken?

Möhring: Ja, denn auch die schlimmsten Täter tun in ihrer Logik das Richtige. Es ist sehr interessant, diese völlig andere Perspektive zu ergründen. Daraus erklärt sich auch, glaube ich, die Faszination des Bösen. Der Böse hat mit letzter Konsequenz eine Grenze überschritten und nimmt sich Freiheiten heraus, die wir uns nie zutrauen würden.

SPIEGEL ONLINE: Ist die Darstellung hartgesottener Kerle im Film eine Art Training für tatsächliche Gefahrensituationen?

Möhring: Nein. Die Wirklichkeit ist viel krasser. Also, wenn man wilde Tiere im Zoo sieht, ist das wie Kino. Aber wenn dir im Park tatsächlich ein Löwe begegnet, da klopft dein Herz bis zum Hals. Ein rutschender Motorroller neben uns auf der Straße, eine Frau, die mit dem Fahrrad hinfällt, das nimmt uns mehr mit als ein Mord im Film. Auf der Leinwand werden Dinge erträglich, die wir in der Realität kaum aushalten. Das liegt daran, dass das menschliche Auge sehr viel mehr wahrnimmt als jede Kamera, und dass wir draußen im Leben alle unsere Sinne nutzen.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Vater starb 2004 durch einen Verkehrsunfall in Ihren Armen. Ist das auch eine Art Gewalterfahrung?

Möhring: Wenn da dein Vater liegt und das Blut kommt, und du weißt, er kann dich schon nicht mehr sehen - das ist eine im wahrsten Sinne gewaltige Erfahrung. Ich habe lange gebraucht, um das als Sohn anzunehmen. Es bleibt natürlich in Erinnerung, wie aber auch die Geburt meiner Kinder im positiven eine solche archaische Erinnerung bleibt. Meine Kinder sind danach geboren. Der Gedanke, dass der eine geht und der andere kommt, hat mich getröstet.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Kinder, zwei Mädchen und ein Junge, sind 5, 7 und 9 Jahre alt. Schauen Sie Filme an, in denen Sie mitspielen?

Möhring: Meine Kinder sind zu jung, vieles ist ihnen zu krass, nicht mal den alten Räuber-Hotzenplotz-Film wollen sie gucken. Sie haben noch nie einen Film mit mir gesehen. Sie kennen ihren Vater anders, mögen die Verwandlungen nicht, zum Beispiel, dass manchmal meine Haare oder der Bart verändert werden. Einmal haben sie mich bei Winnetou-Dreharbeiten in Kroatien besucht. Mich traf ein Pfeil und ich fiel vom Pferd. Mein Sohn spricht heute noch darüber. Eine Weile dachte er, Papa wird immer erschossen auf der Arbeit, das fand er doof.
SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie selbst ihren ersten Tatort geguckt?

Möhring: Meinen ersten Tatort habe ich heimlich bei meiner Tante gesehen. Es war ausgerechnet "Reifezeugnis" mit Nastassja Kinski. Ich war ungefähr zehn Jahre alt und hatte monatelang schwere Albträume.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es Ihrer Meinung nach Gewaltszenen, die man auch Erwachsenen nicht zeigen sollte?

Möhring: In gut gemachten Filmen sieht man bestimmte Dinge nicht. Bösewichte gehen zum Beispiel mit einem Gefangenen in einen Raum und der Zuschauer weiß einfach, dass da jetzt einer verprügelt wird. Die Kamera muss nicht mitgehen. Das Schlimmste findet dann in unserer eigenen Vorstellung statt.

SPIEGEL ONLINE: Sie spielen in der Serie "Parfum" mit. Auch da gibt es Szenen, die dem Zuschauer sehr viel zumuten. Herausgeschnittene Körperteile wurden früher nicht so freimütig gezeigt. Ein Zeichen, dass wir gegen Gewalt abstumpfen?

Möhring: Das sehe ich nicht so. Unsere Verfilmung ist da nicht drastischer als das Buch, das aus den Achtzigern ist. Ein Film, der keinen Spielraum für die eigene Interpretation lässt, läuft Gefahr, dass wir als Zuschauer emotional nicht mehr mitkommen. Wenn ich "Das Parfum" von Patrick Süskind lese, produziere ich diese Bilder selbst, sie entstehen in meinem Kopf. Ich selbst bin dann Regisseur, Schauspieler, Kameramann. Ich kann mich nicht dagegen wehren, dass sich die Buchstaben in meinem Kopf zu solchen Bildern verbinden. Das finde ich viel intensiver als Filmblut.