Johannes Oerding auf Tour

Johannes Oerding hat momentan viel zu tun: Bald geht er mit seinem fünften Album "Kreise" auf Tour. Sie beginnt am 25. Oktober in Leipzig und endet genau vier Wochen später in seiner Wahlheimat Hamburg.
SPIEGEL ONLINE: Müssen Sie für die Tour noch viel üben?
Oerding: Nein. Wir sind extrem gut eingespielt, das Set steht. Meine Vorbereitung besteht hauptsächlich darin, mir Geschichten auszudenken, um das Programm zwischen den Songs so unterhaltsam zu gestalten, dass die Leute dranbleiben. Üben muss ich, wenn ich einen neuen Song geschrieben habe, vor allem gleichzeitig zu spielen und zu singen. Da greift man unten an der Gitarre etwas und singt oben was komplett anderes. Das muss man als Mann erst mal hinbekommen.
SPIEGEL ONLINE: Als Mann?
Oerding: Sagt man doch, dass Frauen mehr Aufgaben parallel erledigen können.
SPIEGEL ONLINE: Kommt für einen neuen Song zuerst die Melodie oder der Text?
Oerding: Das hat sich verändert. Bei meinem ersten Album vor elf Jahren waren deutschsprachige Texte noch nicht angesagt. Es ging mehr um ein soundliches Statement. Das Texten war mir also eher lästig. Heute muss jeder Satz stimmen, da kannst du kein Blabla ohne Aussage reinschreiben. Das hat meinen Blick auf die Musik verändert. Heute muss erst der Inhalt stehen, der gibt mir den Reiz: Darüber will ich singen! Zum Beispiel hatte ich die Zeile "Zwischen Mann und Kind" schon länger im Kopf, habe aber immer gedacht, ich sei noch zu sehr Kind, um das zu singen. Aber jetzt schien der Zeitpunkt genau richtig.
SPIEGEL ONLINE: Erwachsen erst mit Mitte 30?
Oerding: Für manche Themen fühle ich mich immer noch nicht alt genug, um sie musikalisch anzupacken, zum Beispiel das Thema Tod oder die Frage: Habe ich mein Leben richtig gelebt? Ich denke, man braucht eine gewisse Lebenserfahrung, um das glaubwürdig rüberzubringen.
SPIEGEL ONLINE: Fürchten Sie, dass Ihnen irgendwann die Themen ausgehen?
Oerding: Ja, das ist die große Angst. Es gibt aber ein paar handwerkliche Tricks, das zu umgehen. Zum Beispiel, indem man die Perspektive wechselt, nicht autobiografisch singt, sondern als Storyteller wie in meinem Song "Love me Tinder".
SPIEGEL ONLINE: Sehr hübsch, wie in dem Lied zwei enttäuschte Singles auf der Suche nach einem One-Night-Stand zusammenfinden!
Oerding: Wie eine American Lovestory. Ein Kritiker hat über mich geschrieben: "Musik, die nicht weh tut". Aber wer sagt, dass Musik weh tun muss? Warum kommt aus der Kritikerwelt dauernd das Verlangen nach Ecken und Kanten? Es muss immer irgendwie anti sein. Ich empfinde das nicht so.
SPIEGEL ONLINE: Sind sie manchmal von Selbstzweifeln geplagt?
Oerding: Ich war immer sehr selbstbewusst, was meinen Erfolg anbelangt. 2009 am Timmendorfer Strand mussten wir als Vorband überraschend für den Haupt-Gig Ich+Ich einspringen. Dabei habe ich bemerkt, dass ich 35.000 Leute begeistern konnte. Da habe ich gedacht: Wenn ich das hier kann, kann ich das auch woanders. Aber kurz vor der Veröffentlichung eines Albums, da kommt manchmal die kleine Enttäuschungspanik: Haben wir alles richtig gemacht? Ist es wirklich schon fertig?
SPIEGEL ONLINE: Sie sind auf dem Dorf aufgewachsen. Was macht der Erfolg mit dem Jungen vom Land?
Oerding: Ich bilde mir ein, dass ich einigermaßen bodenständig geblieben bin. Aber aufgrund des Erfolges wird alles größer und schneller, es prasselt viel mehr auf einen ein. Das erfordert mehr Effektivität. Musikern wird das oft als Arroganz ausgelegt. Da heißt es vorwurfsvoll: Früher hat er nach dem Konzert Autogramme geschrieben. Ja, aber früher standen da 80 Leute, heute 10.000. Du kannst nicht mehr rausgehen, weil du sonst vier Stunden dastehst. In der Zeit solltest du eigentlich die Stimme schonen, schlafen oder dich auf das nächste Konzert vorbereiten.
SPIEGEL ONLINE: Was die Bodenhaftung angeht: Immerhin sind Sie noch bei den Pfadfindern.
Oerding: Oh ja, ich bin noch zahlendes Mitglied, aber nicht mehr sehr aktiv im Verein. Ich war dieses Jahr ein paar Tage im Sommerlager mit 200 Kindern, habe da auf einem Feldbett gepennt und abends immer Musik gemacht. So habe ich selbst Gitarre spielen gelernt, als kleiner Pfadfinder am Lagerfeuer.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind viel unterwegs. Wie verträgt das Ihre Beziehung mit Ina Müller?
Oerding: Natürlich ist es schwer, wenn man sich zwei Monate am Stück nicht sieht. Dann muss man sich wieder annähern und erzählt sich erst mal drei Tage lang, was alles passiert ist. Wir kriegen das sehr gut hin. Ich kann prima allein sein, meine Arbeit machen und selbstständig leben. Das gilt auch für meine Freundin. Wir haben das immer geschafft, was auch daran liegt, dass wir beide zu hundert Prozent den Job machen, den wir lieben. Sonst wäre es vielleicht schwieriger.
SPIEGEL ONLINE: Mit einer Zahnärztin zum Beispiel würde es eher nicht so gut funktionieren?
Oerding: Das Verständnis ist viel größer bei jemandem aus der Branche, der genau weiß, was Tour-Vorbereitung bedeutet, dass man da keinen Kopp hat, noch Essen zu gehen oder in den Urlaub zu fahren. Man lässt den Anderen in Ruhe. Auf Tour, das ist meine Klassenfahrt, da will ich mit meinen Jungs sein, da will ich auch mal Junge sein. Das Privatleben und das Tourleben, das sind für mich zwei Leben.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem gab es gemeinsame Auftritte.
Oerding: Sehr selten. Am Anfang haben wir das mal gemacht. Wir haben beide das Gefühl, wir kommen entspannter durchs Leben, wenn wir das trennen.
SPIEGEL ONLINE: Aber es hört sich schön an, wenn Müller und Oerding zusammen singen. Trotzdem kein gemeinsames Album "Ina & Johannes"?
Oerding: Ich glaube nicht. Wir machen gern Musik zusammen, deshalb schreiben wir auch Texte zusammen. Zuhause singen wir auch gern gemeinsam, aber wir sind nicht Cindy und Bert. Wahrscheinlich würde es sogar funktionieren, die Leute würden es hören. Aber mir missfällt der Gedanke, nee, das ist nicht mein Ding! Und Inas auch nicht, Gottseidank!