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Quarantäne – Lange Leitung
Zwei kleine Missverständnisse und schon sitze ich im Hausarrest. Unrechterweise. Wer Kontakt zu einer positiv auf das Coronavirus getesteten Person hatte, muss in Quarantäne. Oder nicht? Und wenn, was heißt das – und wer entscheidet darüber? Unglaubliche Erfahrungen mit Hotlines und Ämtern, aufgeschrieben für DIE ZEIT. Montag Ich war gerade auf einer kleinen Tour durch die Republik, hatte meine Mutter und meine Schwester in Niedersachsen, meine Tochter in Sachsen-Anhalt besucht. Jeden Tag ein Schnelltest natürlich. Nun war ich auf dem Rückweg nach Hamburg, als das Telefon klingelte. Mit dumpf verschnupfter Stimme teilte mir eine meiner Freundinnen mit, dass sie positiv sei. In der Woche zuvor hatten wir uns auf einen Kaffee getroffen, beide putzmunter. Das war am Donnerstag, den 27. Mai. Ich erwähne das so detailliert, weil Fristen und Daten noch eine wichtige Rolle spielen werden in den nächsten Tagen. Nebenbei hatte sie erwähnt, dass ihr Mann eine Erkältung habe. "Bestimmt Corona", haben wir noch gewitzelt. "Nee", hat sie abgewunken, "der war segeln und die meiste Zeit allein auf dem Boot." Und dann doch. Ihr Mann hat Corona. Heute erhielt auch meine Freundin ein positives Testergebnis, seit gestern spürt sie erste Symptome. Sofort warnte ich alle, die ich in den letzten Tagen getroffen hatte, und natürlich meinen Mann. Der packte im Büro seine Ausrüstung zusammen und zog ins Home-Office. Das alles, noch bevor sich eineinhalb Stunden später das Gesundheitsamt meldete. Frau H. möchte wissen, wie es mir geht Super, abgesehen von den schlechten Nachrichten. Ob ich bereits zweimal geimpft sei? Nein. Dann müsse ich umgehend in Quarantäne, zwei Wochen, sofort. Genauer legt sie sich nicht fest. Ich erzähle ihr, dass ich gerade mit dem Auto auf der Rückfahrt nach Hamburg bin. Ob ich dort, wo ich sei, halten und zwei Wochen bleiben könne, erkundigt sie sich. "Am Straßenrand, auf einem Parkplatz?", frage ich zurück. Wohl mangels besserer Vorschläge geht sie nicht weiter darauf ein. Was ist mit meinem Mann? Er geht jeden Tag ins Büro. Wie soll er sich verhalten? Und die anderen Menschen, die ich in den letzten zwei Tagen getroffen habe? Die könnten machen, was sie wollten, meint Frau H. vom Gesundheitsamt. Aber könnte ich meinen Mann nicht in der gemeinsamen Wohnung anstecken!? Wir sollten uns in der Wohnung "ein bisschen aus dem Weg" gehen, sagt die Frau vom Amt. Einen PCR-Test müsste ich nicht machen, ich solle einfach zwei Wochen zuhause bleiben. "Finden Sie, dass das so alles Sinn macht?", frage ich, weil mir diese Strategie zur Vermeidung weiterer Infektionen nicht ganz einleuchtet. "Das kann ich Ihnen auch nicht erklären", gesteht Frau H. Sie beendet das Telefonat, ohne mir nähere Erklärungen für die Durchführung der Quarantäne gegeben zu haben. Wenig später erhalte ich per Mail einen Link zu einem Symptom-Tagebuch, in dem ich einmal täglich meinen Gesundheitszustand eintragen soll. Keine Anordnung zur Quarantäne, keine Erläuterungen. Mit freundlicher Penetranz kann ich den Arzt schließlich überzeugen Ich bitte meinen Hausarzt um einen PCR-Test. Er zögert, fragt sich selbst leise murmelnd, wie er das abrechnen solle, fragt mich mehrmals, was das denn bringe. Auch meine Freundin musste, obwohl sie seit fünf Tagen mit ihrem infizierten Mann Bett und Bad teilte, das Gesundheitsamt um einen PCR-Test regelrecht anbetteln. Bis Mitarbeiter schließlich mit ihrem Wattestäbchen anrückten. Mich wundert das angesichts allgemeiner Rufe nach "Testen!Testen!" und unzähligen Testzentren, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Wenn ich durch einen Test meine Quarantäne nicht verkürzen könne, hätte ich doch nichts davon, meint mein Hausarzt. Aber ich möchte Gewissheit. Nicht zuletzt, weil ich mit meinem Mann zusammenlebe, für den sich alles ändert, wenn ich von einer direkten Kontaktperson zu einer Infizierten werde. Mit freundlicher Penetranz kann ich den Arzt schließlich überzeugen. Wir einigen uns auf Donnerstag, weil dann die Ansteckungsmöglichkeit weit genug zurückliegt, um sich in einem Test niederzuschlagen. Zuhause hat mein Mann schon sein Home-Offi ce und Bett im Gästezimmer aufgebaut. Nach einem getrennten Wochenende begrüßen wir uns sehnsüchtig winkend aus fünf Metern Entfernung. In einigen Tagen wollten wir seinen runden Geburtstag feiern, sowieso nur im kleinsten Kreis, versteht sich. Wir müssen allen absagen, auch seiner zweimal geimpften Mutter, die sich nach langer Zeit mal wieder auf einen Besuch gefreut hatte. Melancholie. Dienstag Mein Mann hat sich im Büro verschanzt, Monitor und Unterlagen auf einem wackeligen Klapptisch direkt neben der ausgezogenen Gästecouch. Mahlzeiten nehmen wir gemeinsam ein, draußen, mit mindestens drei Meter Abstand. Ab und zu schleiche ich über den Balkon und stelle ihm einen Kaffee oder ein Wasser auf das Fensterbrett. Er dankt mit Luftküssen. Ich habe ja sonst nicht viel zu tun. Alle Termine in den nächsten zwei Wochen sind abgesagt. Was ist eigentlich die gesetzliche Grundlage für meinen Hausarrest? Nach welchen Regeln handelt das örtliche Gesundheitsamt? Im Netz stoße ich auf die Richtlinien des RKI. Und stutze. Hiernach muss Isolierung angeordnet werden, wenn man binnen zwei Tagen vor Auftreten von Symptomen mit einer erkrankten Person zusammen war beziehungsweise zwei Tage vor Probenentnahme für einen Coronatest. Auch in den 14 Tagen danach ist man laut RKI ansteckend. Mein Besuch bei meiner Freundin war am Donnerstag, die Probenentnahme und erste leichte Symptome hatte sie am Sonntag. Ich zähle nach: Laut RKI hatte ich meine Freundin getroffen, als sie noch nicht ansteckend war. Orientiert sich das Gesundheitsamt nicht an den Richtlinien des RKI? Woran dann? Und welches Gesetz erlaubt es einem Amt, mich vorsorglich einzusperren? Ich habe nichts Schriftliches in der Hand, Frau H. hat keine Kontaktdaten hinterlassen. Unter der Nummer, von der aus sie mich angerufen hat, ist niemand zu erreichen. Es gibt verschiedene Corona-Hotlines der Stadt und der Gesundheitsämter in den Bezirken. Mehrfache vergebliche Versuche. Ein freundlicher, bemühter Mann durchsucht seine Dateien Schließlich frage ich bei der 116117 nach der gesetzlichen Grundlage für eine Quarantäne. Müssen sich die Hamburger Gesundheitsämter an die Bestimmungen des RKI halten? Ein freundlicher, bemühter Mann durchsucht seine Dateien, findet nichts Passendes und meint schließlich: "Quarantäne anordnen und aufheben kann nur das zuständige Gesundheitsamt." Er gibt mir die Nummer des Gesundheitsamts in Altona. Dort wieder keine Antwort. Die Geschäftszeiten des Gesundheitsamts dauern nur bis 15 Uhr, informiert mich die Stadt im Internet. Es ist 16:01 Uhr. Ich durchforste das Netz nach passenden Durchwahlnummern, spreche schließlich einem Herrn St., der leider nicht am Platz ist, auf den Anrufbeantworter – in der Hoffnung, dass er sich morgen bei mir meldet. Das geschieht nicht. Mittwoch "Gute Frage!", ermuntert mich eine Dame der Corona Hotline Altona am nächsten Tag. Sie fragt bei einem Kollegen nach der gesetzlichen Grundlage für Quarantäne-Anordnungen. Es ist das Infektionsschutzgesetz § 28 A und § 16. Nein, meint sie, zwei Tage vorher, wie vom RKI festgelegt, das wäre doch viel zu kurz. So sieht sie das jedenfalls. Die Paragraphen 28 und 16 des Infektionsschutzgesetzes ermächtigen die Gesundheitsämter grundsätzlich zur Beschränkung persönlicher Freiheiten, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhindern. Fristen und andere Details werden dort aber nicht genannt. Das Gefühl, eine Aussätzige zu sein, wühlt mich mehr auf, als ich dachte. Ich hege einen unvernünftigen Groll gegen meinen Mann, der provokant große Kreise um mich zieht und die AHA-Regeln offensichtlich besonders genau nimmt. Wir schauen gemeinsam einen Tatort, unser Wohnzimmer ist nicht gerade eng. Er setzt sich fünf Meter entfernt in einen Sessel direkt neben die geöffnete Balkontür, überlässt mir das Sofa, wo wir uns sonst aneinanderkuscheln. Ich sollte dankbar sein, dass er mir den bequemeren Platz überlässt. Stattdessen fühle ich mich ungeliebt und schmolle. Was stellt er sich so an? Wir sind beide einmal geimpft, da kann doch nichts Schlimmes passieren! Meine Freundin und ihr Mann haben auch nur einen Schnupfen. Wenn er mich wirklich liebte, könnte er ruhig mal unvernünftig sein und sich für mich in Gefahr begeben. Oder etwa nicht? Donnerstag Pünktlich um 9.30 Uhr stehe ich beim Hausarzt vor der Tür. Frau H. vom Gesundheitsamt hatte mir erlaubt, die Wohnung einmal während der Quarantänezeit zum Zwecke eines PCR-Tests zu verlassen. Durch einen Nebeneingang werde ich ins Treppenhaus gelotst, wo der Arzt die Probe aus Nase und Rachen nimmt. Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm das zumute. Wann das Ergebnis kommt, kann er nicht sagen. Die Corona App wird es anzeigen. Am Nachmittag dann endlich der schriftliche Bescheid der Gesundheitsbehördein meinem Briefkasten. Dringend wird empfohlen, zu Beginn der Isolierung einen PCR-Test zu machen. Ebenso eindrücklich wird geraten, dass sich alle Haushaltsmitglieder freiwillig in Quarantäne begeben. Später werde ich Frau H. fragen, warum sie diese Empfehlungen nicht schon bei unserem ersten Telefonat ausgesprochen hat, mir dagegen sogar vermittelt hat, ein PCR-Testund Zurückhaltung meines Mannes seien überflüssig. Frau H. sagt: Weil es sich dabei nur um Empfehlungen und nicht um Vorschriften handle. Zwei kleine Missverständnisse und schon sitze ich im Hausarrest Gründlich studiere ich die Quarantäne-Anordnung des Gesundheitsamtes. Ein falsches Datum sticht mir ins Auge. Angeblich hatte ich vergangenen Freitag eine Begegnung mit einer infizierten Person. Es war aber definitiv der Donnerstag. Ich telefoniere mit meiner Freundin. Sie fühlt sich, wie man sich bei einer starken Erkältung eben fühlt: nicht gut, aber auch nicht dramatisch schlecht. Sie erzählt, dass sich auch in ihrem Behördenschreiben ein paar falsche Angaben finden. Ihre ersten Symptome sind fälschlicherweise für den Samstag notiert. Mir wird plötzlich klar: Zwei kleine Missverständnisse und schon sitze ich im Hausarrest. Die Quarantäne-Anordnung beruft sich ausdrücklich auf die Richtlinien des RKI. Demnach müsste ich also gar nicht in Quarantäne sein. Mittlerweile ist es 17 Uhr, es wäre sinnlos, jetzt das Gesundheitsamt anzurufen.Die Corona Hotline Hamburg ist noch besetzt. Dort gibt man mir eine Durchwahl zur zuständigen Stelle für den nächsten Tag. Bleibt also vorerst das Warten auf das Testergebnis. Immerhin wissen wir jetzt,dass ich mich laut RKI nicht angesteckt haben kann. Aber nichts ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Auch an diesem Abend bleiben mein Mann und ich auf Abstand. "Jetzt haben wir es schon so lange durchgehalten", sagt er, der Vernünftige, schweren Herzens. Ich halte mich zurück. Es ist seine Entscheidung, er ist der Gefährdete und ich bin die Gefahr. Wir werden also das Testergebnis abwarten, das vielleicht erst morgen kommt. Gegen 19.30 Uhr dann die Erlösung. "Das Virus SARS-CoV-2 wurde bei Ihnen nicht nachgewiesen", teilen mir die Sprechstundenhilfe und die Corona-App fast gleichzeitig mit. Doch nicht so blöd, die App. Vielleicht ist sie sogar schlauer als das Gesundheitsamt. Denn obwohl beim Treffen mit meinerFreundin unsere Handys dicht beieinander waren, zeigt die App keine Risiko-Begegnung an, weil sie die richtigen Daten verwertet. Freitag Das Problem muss unbedingt geklärt werden, bevor die Amtsleute ins Wochenende gehen. Ich stehe extra früh auf, aber vor 9 Uhr ist nichts auszurichten. Um 9.01 Uhr wähle ich die Durchwahl, die mir gestern gegeben wurde. Und siehe da, es meldet sich wieder der Anrufbeantworter von Herrn St., den ich bereits vor zwei Tagen um Rückruf gebeten hatte. Herr St. wird sich nie bei mir melden. Bei der Corona-Hotline des Gesundheitsamtes erhalte ich eine E-Mail-Adresse. Nein, nicht die Adresse im Absender der Anordnung, die ist dafür nicht zuständig. Ich schreibe also eine Mail an die amtlich zuständige Adresse. Tatsächlich ruft Frau H. recht schnell zurück und verspricht Klärung noch vor dem Wochenende. Zum wiederholten Mal vergewissere ich mich bei meiner Freundin: Unser Treffen war am Donnerstag, erste Symptome spürte sie am Sonntag. Mittags ruft Frau H. wieder an. Meine Quarantäne wird um einen Tag verkürzt. Wieso nur verkürzt? Sie besteht darauf, dass meine Freundin ihre ersten Symptome für Samstag gemeldet hat. Ich schlage Frau H. vor, selbst bei ihr anzurufen und sich das Datum persönlich bestätigen zu lassen. Das ginge auf keinen Fall, denn Infizierte lägen nicht in ihrer Zuständigkeit. Sie betreue nur Kontaktpersonen. Aber ist sie nicht für mich zuständig und damit für korrekte Informationen über meine Situation? Sie beharrt darauf, "die Ärztin" habe ihr versichert, dass meine Freundin den Samstag noch einmal bestätigt habe. Ich aber weiß ganz genau, dass meine Freundin heute von niemandem befragt wurde. Außerdem, ergänzt Frau H., habe die Ärztin gesagt, ich hätte den Haushalt eines Infiziertenbetreten – das sei gravierend genug und daher bleibe es bei der Quarantäne. Dann müsste sie das Aktenzeichen ändern Jetzt rege ich mich richtig auf. Es gibt nirgendwo Richtlinien, die Isolierung verlangen, weil man in einem Haushalt war, wo sich irgendwo, irgendwann ein Infizierter aufgehalten hat. Ich halte einen kleinen Vortrag über Grundrechte. Frau H. sagt, sie könne das alles nicht entscheiden, dann müsste sie "das Aktenzeichen und die Anordnung ändern" und dafür sei sie "nicht ausgebildet". In einer kurzen E-Mail an die hoffentlich zuständige Adresse des Gesundheitsamtes bestätigt meine Freundin, dass sich erste Symptome bei ihr erst am Sonntag bemerkbar gemacht haben. Jetzt haben sie es schriftlich. Das war wohl das richtige Wendekommando für den Amtsschimmel: Wenig später meldet sich Frau H., meine Quarantäne sei nun aufgehoben. Die Wohnung dürfe ich aber erst am nächsten Tag verlassen. "Aus versicherungstechnischen Gründen." Wer ist denn hier gegen wen oder was versichert? Das kann sie mir nicht erklären. Wir wünschen uns ein schönes Wochenende. Es wird sich nie klären lassen, wie die falschen Daten in die Unterlagen des Gesundheitsamtes kamen. Hat meine Freundin sich in der Aufregung geirrt? Habe ich das falsche Datum ohne nachzudenken bestätigt? Oder hat das Amt alles falsch aufgeschrieben? Irren ist menschlich. Sorgen macht mir allerdings die geballte Unbedarftheit, auf die ich – eineinhalbJahre nach Beginn der Pandemie – bei meinen Telefonaten gestoßen bin. Lauter nette, bereitwillige Menschen, die völlig unzureichend instruiert und geschult wurden. Ein bürokratisches System, dass es nicht schafft, wichtige Anordnungen auf einen schnellen Weg zu bringen. Und die lauernde Bereitschaft, Grundrechte skrupellos einzuschränken, wenn es denn dem hehren Ziel – dem Sieg über das Virus – dient. Fünf Tage später Fünf Tage nach diesem Telefonat erhalte ich die schriftliche "Aufhebung der häuslichen Isolierung", da "die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür entfallen sind". So kann man es auch ausdrücken. Die Aufhebung erfolgt zum 5.6., also mit einem Extra-Tag Hausarrest für die Versicherung. Auf spätere Nachfragen heißt es, bei den "versicherungstechnischen Gründen" müsse es sich um ein Missverständnis gehandelt haben. Aber grundsätzlich gelte eine Quarantäneanordnung ganztägig, also bis 23:59 Uhr. Das gilt dann wohl auch für grundlos angeordnete Isolierung. Auch meine Freundin erhielt übrigens ein Schreiben von Gesundheitsamt. Da sich ihre Symptome nun amtlich vermerkt erst einen Tag später zeigten, wird ihre Quarantäne um einen Tag verlängert. Von Sabine Stamer am 15. Juli 2021 - 19:16
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