Maria Furtwängler über soziale Medien: "Das Frauenbild orientiert sich an den Fünfzigerjahren"

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Wie stellen sich junge Frauen im Internet dar? Beängstigend uniform, findet Maria Furtwängler. Im Interview spricht sie über deprimierende Rollenbilder und die Verantwortung weiblicher Trendsetter. Ein Interview für Spiegel Online
Spiegel Online
28.01.2019
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Mit ihren Selbstinszenierungen auf Instagram und YouTube legen sich Mädchen und junge Frauen immer noch weitgehend auf althergebrachte Rollenbilder fest. Zu diesem Schluss kommt Schauspielerin Maria Furtwängler und beruft sich dabei auf mehrere Studien, die sie gemeinsam mit ihrer Tochter Elisabeth in Auftrag gegeben hat und nun in Berlin vorstellt.

Wie nutzen junge Frauen die Chance, sich im Web individuell auszudrücken? Und wie lassen sie sich dabei von Influencerinnen beeinflussen? Das haben Forscherinnen auf Instagram und YouTube untersucht - im Auftrag der von Maria und Elisabeth Furtwängler gegründeten Stiftung MaLisa. In einer dritten Studie wurde auch die Geschlechterdarstelllung in den 100 beliebtesten Musikvideos analysiert.

Bereits 2017 hatte die Stiftung mit einer umfassenden Studie darauf hingewiesen, dass Frauen in Film und Fernsehen unterrepräsentiert sind. Die neuen Studien kommen nun zu einem ganz ähnlichen Ergebnis: Bei den 100 beliebtesten Musikvideos, den 100 beliebtesten YouTube-Kanälen und den Top 100 Instagram-Profilen seien Frauen nur halb so häufig vertreten wie Männer, heißt es in einer Mitteilung von MaLisa.

Zudem orientiere sich das Auftreten an althergebrachten Stereotypen:
• Auf YouTube präsentieren Frauen sich der Studie zufolge überwiegend im privaten Raum und geben etwa Schminktipps, während Männer ein deutlich breiteres Themenfeld abdecken.
• In Musikvideos werden Frauen laut der Untersuchung mehrheitlich "sexy und passiv" inszeniert.
• Auf Instagram seien vor allem die Frauen erfolgreich, die einem normierten Schönheitsideal entsprechen und sich mit Mode- oder Beauty-Themen beschäftigen.

Als TV-Kommissarin Charlotte Lindholm widersetzt sich Maria Furtwängler weiblichen Klischees. Im "Tatort" am kommenden Sonntag wird sie ihrer neuen Kollegin, gespielt von Florence Kasumba, mit kampflustigem Alphatier-Gebaren begegnen. Im Interview erzählt sie, warum ihr diese Auseinandersetzung Spaß macht, warum sie das uniforme Frauenbild im Web alarmierend findet und was sich am Nutzungsverhalten ändern muss.

SPIEGEL ONLINE: Welche Unterschiede haben die Forscherinnen bei der Selbstinszenierung von Mädchen und Jungen auf YouTube vorgefunden?

Maria Furtwängler: Junge Frauen präsentieren sich eher im privaten Raum und deklarieren ihre Tätigkeit als Hobby. Es wird genäht, gekocht, gebastelt, oft geht es um Beautytipps und Dating. Junge Männer zeigen sich häufiger im öffentlichen Raum und haben eine sehr viel größere Spannbreite an Ausdrucksmöglichkeiten: Entertainment, Gaming, Comedy oder auch mal Politik. Es scheint sehr wichtig zu sein, dass die Frauen das Gefühl vermitteln, sie machten alles gut gelaunt und ohne Anstrengung nebenbei.

SPIEGEL ONLINE: Also der Mann als Profi in der Welt unterwegs und die Frau hübsch lächelnd zuhause?

Furtwängler: In der Summe ja. Dabei sind die bekannten Influencerinnen oftmals starke Selfmade Women, die sich selbst managen, ihr Image eigenständig gestalten. Eine sehr erfolgreiche Influencerin hat mir erzählt, sie habe mal versucht aufzuzeigen, wie logistisch aufwändig und anstrengend diese Arbeit ist, habe daraufhin aber sofort einen auf den Deckel bekommen von ihren Followern.

SPIEGEL ONLINE: Und das ist bei Jungen anders?

Furtwängler: Jungs dürfen sich durchaus geschäftstüchtig zeigen. Natürlich wird auch hier das Sixpack wichtiger, aber sie haben viele Optionen, ihre Stärken zu zeigen. Von Mädchen wollen alle nur das perfekte Bild sehen.

SPIEGEL ONLINE: Und es soll bei ihnen bitteschön nicht nach Arbeit, sondern natürlich aussehen?

Furtwängler: Ja, keinesfalls und das ist lustig. Es geht angeblich um Authentizität, Natürlichkeit und Spontaneität. Aber die Herstellung eines perfekt unaufwändig wirkenden Bildes ist unglaublich aufwändig.

SPIEGEL ONLINE: Die Forscherinnen haben Hunderte Instagram Posts untersucht. Wie versuchen Jugendliche, ihre Bilder zu optimieren?

Furtwängler: Mädchen vergrößern, zum Teil mit Apps, ihre Brüste, verengen ihre Taille, verlängern ihre Beine, Jungen machen ihre Beine muskulöser, verbreitern ihre Schultern, und bauen sich ein Sixpack. Mädchen sollen wahnsinnig schlank sein und trotzdem große Brüste und Hintern haben. Diese Kombination ist rein biologisch kaum machbar. Denn wenn ich klapperdürr bin, ist in der Regel vorn und hinten einfach nicht mehr viel da. Da kann man nur nachhelfen. Wir haben ein Zitat von einem Mädchen, das sagt: Ich mache mir immer die Beine länger, weil das natürlicher aussieht.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, Wunschbilder und Wirklichkeit werden schon verwechselt?

Furtwängler: In den USA gibt es bereits das Phänomen "Snapchat Dysmorphia": Mädchen gehen zum Schönheitschirurgen, damit sie im richtigen Leben so aussehen, wie auf den gefilterten Snapchat-Bildern. Auffällig ist auch, dass der Wunsch nach Nasenverkleinerungen zugenommen hat, denn durch den Weitwinkeleffekt bei den Selfies hat man tatsächlich immer einen riesigen Zinken im Gesicht.

SPIEGEL ONLINE: Aber niemand schreibt Frauen und Mädchen vor, sich an Schönheitsklischees zu halten oder sich auf Handarbeiten und Schminktipps zu fokussieren. Wie erklären Sie sich, dass weibliche User sich trotzdem darauf festlegen?

Furtwängler: Es ist eine erstaunliche normierende Macht, die durch die sozialen Medien ausgeübt wird, obwohl diese Plattformen doch per se erst einmal einen völlig freien Raum zur individuellen Selbstinszenierung geboten haben. Es wäre interessant herauszufinden, wie genau diese Normierung so dominant werden konnte. Und warum sich die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen durchgesetzt haben, die eine solche Normierung mit Werbung erzeugen oder befeuern wollen. Frauen sind jedenfalls umso erfolgreicher, je mehr sie sich an den engen Rollenvorgaben orientieren. Das uniforme Frauenbild ist alarmierend. Es leugnet und ignoriert in weiten Teilen weibliche Diversität.

SPIEGEL ONLINE: Also sollte Schönheit für Frauen gar kein Maßstab mehr sein?

Furtwängler: Es ist nichts dagegen zu sagen, dass wir hübsch sein wollen. Gleichzeitig kann und muss das Konzept von hübsch oder schön jedoch Vielfalt zulassen. Ganz generell ist die Einschränkung deprimierend, der zufolge Mädchen ihren Selbstwert primär darüber definieren, wie viele Likes sie für ihr Aussehen bekommen und wie viele Typen scharf auf sie sind. Und es eben nicht darum geht, ob sie eine tolle Sache erfunden oder etwas gebaut oder sonst eine großartige Leistung vollbracht haben. Dieser schmale Korridor, in dem Frauen sich bewegen, ist sehr irritierend, er orientiert sich am Frauenbild der 1950er Jahre.

SPIEGEL ONLINE: Kann man trotzdem sagen, dass sich in der jüngeren Social-Media-Welt Fortschritte gegenüber den klassischen Medien zeigen?

Furtwängler: Ich fürchte nein, eher im Gegenteil. In den traditionellen Medien bewegen sich die Verantwortlichen wenigstens langsam in Richtung Diversität und Geschlechtergerechtigkeit, hinterfragen stereotype Darstellungen. In den sozialen Medien gibt es keine Kontrollinstanz und keine Möglichkeit, das zu beeinflussen. Natürlich gibt es auf allen Social-Media-Plattformen eine große Bandbreite an Selbstdarstellung, aber ein Algorithmus schert sich nicht um Vielfalt oder Vermeidung von Stereotypen.

SPIEGEL ONLINE: Was müsste Ihrer Meinung nach unternommen werden?

Furtwängler: Schulen müssen zu mehr Medienkompetenz verhelfen. Eltern müssen sich mit den Bildern auseinandersetzen, die ihre Kinder prägen und selber entwerfen. Und wir müssen das Bewusstsein, gerade auch bei den Influencerinnen, dafür schärfen, wie wirkmächtig ihre Bilderwelten sind, wie sehr sie im Unterbewusstsein wirken. Das ist auch meine Motivation, mich hier zu engagieren, zu analysieren, was wir sehen und mit den Influencerinnen, deren Arbeit ich durchaus respektiere, darüber in die Diskussion zu kommen.

SPIEGEL ONLINE: Als Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm bilden Sie mit Ihrer neuen Co-Kommissarin Florence Kasumba alias Anais Schmitz ein richtiges Alphafrauen-Team. Wie gefällt Ihnen das?

Furtwängler: Ich finde es sehr gut, dass mit Florence im "Tatort" die erste weibliche Doppelspitze bilde, vor allem weil die Auseinandersetzung zwischen den Kommissarinnen nicht hysterisch, zickig oder weinerlich geführt wird, sondern wie zwischen zwei Kerlen mit Aggression auf Augenhöhe.

SPIEGEL ONLINE: Und das ist besser? Sie müssen dabei ganz schön einstecken.

Furtwängler: Ja, nicht wahr? Aber Frauen sind nun mal nicht die besseren Menschen!