Schauspielerin Marie Bäumer: "Pferde legen emotional sehr viel frei".

Zur Person
Marie Bäumer, Jahrgang 1969, ist Schauspielerin und Schauspiel-Lehrerin. Zuletzt war sie als Romy Schneider in "3 Tage in Quiberon" auf der Leinwand zu sehen. Bäumer wurde in Düsseldorf geboren, heute lebt sie in der Provence in Frankreich. Vor einigen Jahren erkundete die leidenschaftliche Reiterin den Wilden Westen der USA zu Pferd. Jetzt hat sie ein Buch mit dem Titel "Escapade" geschrieben.
DER SPIEGEL: "Escapade" lautet der Titel Ihres Buches. Aus dem Französischen übersetzt heißt das so viel wie Seitensprung. Beim Dressurreiten bezeichnet man damit ein Ausweichen des Pferdes. Was bedeutet "Escapade" für Sie?
Bäumer: Mit einem Augenzwinkern einen Aufbruch starten, spielerisch einen Sprung aus der gewohnten Fassung wagen.
DER SPIEGEL: Den vertrauten Rahmen zu verlassen, macht vielen Menschen Angst. Ihnen nicht?
Bäumer: Angst verhindert vieles. Wir Menschen sind immer wieder konfrontiert damit, Ängste und Schwellen zu überwinden. Das geht schon los als Kind, wenn man im Schwimmbad auf dem Sprungbrett steht. Aber die Belohnung ist das Glücksgefühl, wenn man es geschafft hat, ins Becken zu springen.
DER SPIEGEL: Gibt es etwas, das Ihnen Angst macht?
Bäumer: Ich habe seit jeher Angst vor Spinnen. Eine Freundin riet mir, sie anzufassen. Dadurch konnte ich die Angst teilweise überwinden. Außerdem habe ich ein Kind, das noch mehr Angst vor Spinnen hatte, und da musste ich natürlich behaupten, Spinnen seien überhaupt kein Problem für mich. Es ist auch zu absurd, auf dem Land zu leben und Angst vor Spinnen zu haben.
DER SPIEGEL: Vor drei Jahren haben Sie das Atelier Escapade gegründet. Was machen Sie da?
Bäumer: Aus meinen Erfahrungen als Schauspielerin und Schauspiellehrerin habe ich eine Methode entwickelt, die hilft, die Energie, die wir im Körper halten, freizulegen, mentale und körperliche Blockaden zu lösen, und somit auf unsere zentrale Kraft zuzugreifen.
DER SPIEGEL: Dabei setzen Sie auch Pferde ein.
Bäumer: Pferde legen emotional sehr viel frei bei uns. Im Atelier Escapade bewegen sich, innerhalb eines eingezäunten Bereiches, Menschen und Tiere frei, die Pferde sind ohne Halfter und Strick. Wenn jemand erlebt, dass er 500 Kilo nur durch seine Energie bewegen kann, dann ist er überwältigt.
DER SPIEGEL: Was kosten Ihre Kurse denn - und wer bucht das?
Bäumer: Die Preise variieren. Unter den Teilnehmern sind Ingenieure, Leute aus der Werbung, bis hin zur Lehrerin. Das Thema ist universell.
DER SPIEGEL: Der Mensch sei die einzige Spezies, die in Körperausdruck und Sprache widersprüchlich sein kann, schreiben Sie in Ihrem Buch. Bei Tieren hingegen seien Körperhaltung und Stimme immer kongruent. Wer ist denn hier im Vorteil, Tier oder Mensch?
Bäumer: Die Tiere machen es sich leichter. Deshalb gibt es deutlich weniger Missverständnisse bei ihnen. Der Mensch ist sehr komplex und vieldeutig. Das ist einerseits eine Qualität und andererseits eine Krux. Sowohl im Beruf, als auch in Beziehungen leiden Menschen darunter, dass körperliche Signale und Worte nicht übereinstimmen. Eine Mutter, die ihrem Kind sagt: "Ja, ich liebe dich", es aber gleichzeitig angestrengt von sich fernhält, weil sie telefonieren möchte, sorgt bereits für ein Missverständnis. Das Pferd führt uns unmittelbar zu Klarheit und innerem Gleichgewicht.
DER SPIEGEL: Ihr Lieblingslehrer an Ihrer ersten Ausbildungsstätte, der Scuola Teatro Dimitri im Tessin, trieb Sie mit fast brutalen Methoden über Ihre Grenzen: Training bis zur Erschöpfung, Beschimpfungen, sogar Ohrfeigen. Wie konnte ausgerechnet er zu Ihrem Lieblingslehrer werden?
Bäumer: Mir waren immer die strengsten Lehrer die liebsten, wenn ich gemerkt habe, dass es Hand und Fuß hatte, was sie vermittelten. Mir hat das Sicherheit gegeben, weil ich das Gefühl hatte, diese Leute nehmen wirklich ernst, was sie tun. Durch ihre Härte schimmerte immer auch eine tiefe Zärtlichkeit durch. Von Szilard, einem Ungarn, der von Kindesbeinen an als Akrobat beim Zirkus gearbeitet hatte, und bei Jutta Hoffmann vom Brecht-Theater, einer ebenfalls strengen Lehrerin, habe ich am meisten gelernt.
DER SPIEGEL: Gehen Sie als Schauspiellehrerin und Mediatorin mit ähnlichen Methoden vor?
Bäumer: Nein. Ich bemühe mich, stringent zu sein, aber ich bin nicht streng. Ich persönlich habe jedoch Strenge und Autorität nie mit etwas Negativem verbunden. Das wird in meiner Generation oft verwechselt, gerade in der Erziehung.
DER SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Bäumer: Ein klarer Rahmen gibt Kindern eine Orientierung. Wenn man ihnen alle Entscheidungen überlässt, führt das dazu, dass Kinder in ein Restaurant hineinrauschen und schreien: Ich will 'ne Cola! Das finde ich bedauerlich. Oder dass sie ständig Gespräche unterbrechen und nicht mehr die Hand geben. Kindern diese kleinen wertvollen Formen für Kontakte zwischen Menschen nahezubringen, ist anstrengend, aber lohnenswert, denn es ist der erste Schritt auf den Mitmenschen zu.
DER SPIEGEL: Ist das in Frankreich, wo Sie leben, anders?
Bäumer: Bei den Franzosen erlebe ich das anders. Sie sind früh mit den Kindern liebevoll didaktisch in der Erziehung, es ist selbstverständlich, eine gewisse Höflichkeit im Umgang zu lernen. In Deutschland erlebe ich beim Bäcker, wie kleine Kinder völlig überfordert sind von der riesigen Auswahl und Mütter, eine lange Warteschlange hinter sich, auf eine Entscheidung drängen. Es würde dem Kind und der Mutter helfen, dass sie eine Entscheidung fällt.
DER SPIEGEL: Würden Sie sagen, dass man mit harten Methoden das Beste aus einem Menschen herausholen kann?
Bäumer: Der Mensch lernt am Widerstand. Die Überwindung des Widerstands ist ein wichtiger Motor. Deshalb sollte man Kindern bei Entscheidungen helfen, aber ihnen nicht alles abnehmen. Heute werden sie oft von Erwachsenen hochgeschoben auf die Rutsche, hochgehoben auf den Baum und irgendwann sitzen sie nur noch passiv auf den Schultern ihrer Eltern und weinen, wenn sie alleine laufen sollen. Man nimmt ihnen die Freude, ihre eigenen Kräfte zu erkennen und zu messen.
DER SPIEGEL: Als Mediatorin helfen Sie Menschen, den richtigen Weg zu finden. Wie weiß ich denn, dass ich auf dem richtigen Weg bin?
Bäumer: Wenn es leicht ist. Deutschland macht es sich grundsätzlich gern schwer. Das ist natürlich auch eine Qualität, wir sind sehr arbeitsam und einsatzfähig. Wir sagen, solange etwas nicht anstrengend ist, war es nicht gut. Aber meiner Meinung nach ist es anders: Wenn uns etwas leichtfällt, können wir es gut, denn es entspricht unserem Wesen.
DER SPIEGEL: Sie wollen Menschen dabei unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen. Viele Menschen kennen ihre Wünsche, aber Sie zitieren ein italienisches Sprichwort: Zwischen dem Sagen und dem Tun liegt das Meer. Was hindert Menschen daran, ihre Träume in die Realität umzusetzen?
Bäumer: Es gibt viele Einflüsse: die Stimmen aus der Familie, aus der Gesellschaft, die inneren Stimmen. Ab und zu muss man seine alten Glaubenssätze aussortieren wie alte Kleider. Das meine ich mit dem Sprung aus der gewohnten Fassung. Reisen und Ausflüge sind hilfreich, weil sie einen anderen Blick auf das eigene Leben schaffen. Ich habe zum Beispiel die deutsche Sprache in Frankreich richtig lieben gelernt, obwohl ich auch die französische liebe. Diese Vokale, die Kraft, die Poesie, die Tiefe!
DER SPIEGEL: Welche Träume verfolgen Sie persönlich?
Bäumer: Ich möchte einmal mit Pferden um den Erdball reiten. Außerdem habe ich die Vision, am Atlantik eine riesige Skulptur zu gestalten, einen Wal mit einem Elefanten, die letzten Dinosaurier unter uns, der eine vom Land, der andere aus dem Meer. Ein Elefant hat ungefähr das Gewicht der Zunge eines Blauwals. Das ist ein Bild, welches aus einem Traum, den ich in La Rochelle hatte, entstand. Ich hoffe, dass mich irgendwann jemand dabei unterstützt ihn umzusetzen.