Schauspielerin Martina Gedeck: "Man kann den Hund nicht zweiteilen"

Zur Person
Schauspielerin Martina Gedeck, bekannt u.a. aus "Das Leben der anderen" und "Die Wand", ist ab 8. August 2019 in deutschen Kinos zu sehen. In der Scheidungskomödie "Und wer nimmt den Hund?" steht sie als Doris nach 26 Jahren, zwei Kindern und einem Hund vor den Trümmern ihrer Ehe, denn ihr Mann Georg, gespielt von Ulrich Tukur, beginnt eine Affäre mit einer Doktorandin. Martina Gedeck war lange mit dem Schauspieler Ulrich Wildgruber liiert, bis der sich 1999 das Leben nahm. Mit Angaben aus ihrem Privatleben ist sie äußerst zurückhaltend, sie verrät nicht einmal ihr Geburtsdatum.
SPIEGEL ONLINE: Frau Gedeck, haben Sie einen Hund?
Gedeck: Nein, aber ich mag Hunde. In "Die Wand" war ein Jagdhund über zwei Jahre mein Spielpartner. Meine Großmutter hatte einen Hund, der mich in meine Selbstständigkeit begleitete. Mit ihm durfte ich allein durch Wälder und Wiesen streifen. Der Hund lief frei herum, aber er hat auf mich aufgepasst. Das war ein Gefühl von Sicherheit und gleichzeitig von Freiheit.
SPIEGEL ONLINE: Der Filmtitel lautet "Und wer nimmt den Hund?" - trifft das den Kern der Handlung?
Gedeck: Ja, genau. Der Titel stellt die Grundfrage einer Trennung, und diese lautet: Wie soll man etwas teilen, das nicht zu trennen ist? Man kann den Hund nicht zweiteilen. Der Hund verkörpert ein Problem, das nicht zu lösen ist.
SPIEGEL ONLINE: Der Hund steht also symbolisch auch für Kinder - und wofür noch?
Gedeck: Für die Liebe an sich, die man auch nicht trennen kann, dieses Band zwischen zwei Menschen. Eine Beziehung ist wie ein starkes Gewebe aus einem Faden, der hin- und hergeht, das kann man nicht einfach durchtrennen. Es bleibt als Lebensgewebe bestehen und begleitet einen weiter. Man kann - wenn wir beim Beispiel des Films bleiben - 26 Jahre Ehe nicht abschütteln oder ausradieren. Diese Ehejahre sind in einem drin, die haben das eigene Leben geprägt. Man kann sich von einer Person lösen und ein neues Leben anfangen ohne diese Person. Aber selbst dann bleibt der frühere Partner immer noch präsent in meinen Gedanken.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie persönlich ähnliche Erfahrungen gemacht? Gedeck: Nein, ich habe das nicht erlebt; ich war nie ein halbes Leben verheiratet.
SPIEGEL ONLINE: War es daher schwierig für Sie, sich in eine Figur wie Doris hineinzuversetzen? Gedeck: Als Schauspielerin versetze ich mich fast immer in Situationen hinein, die ich nicht kenne. Aber ich
kenne die Gefühle: Wut, Ohnmacht, Schwäche, Verzweiflung, Trotz oder Rache.
SPIEGEL ONLINE: Wie machen Sie sich mit der Problematik vertraut? Lesen Sie oder sprechen Sie mit Leuten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben?
Gedeck: Ich stelle mir das vor. Mein Ausgangsmaterial sind der Text und die jeweiligen Spielsituationen. Ich fange lange vor dem Dreh an, mich damit zu beschäftigen, und schaue mir jede Szene an. Ich habe mir in diesem Fall zum Beispiel überlegt, dass Doris noch eine gewisse Kindlichkeit und etwas Unbefangenes in sich trägt. Sie versucht recht schnell, in ihrer Ohnmacht während der Trennungsphase ihre Würde wiederzubekommen und schafft sich dafür neue Felder. Sie lässt sich auf einen anderen Mann ein, sie denkt über Kunstprojekte nach. Das zeugt von einer Grundlebensfreude, die auch durch den Betrug ihres Mannes nicht kaputtgegangen ist.
SPIEGEL ONLINE: Und irgendwann zündet sie aus Wut ein Auto an. Können Sie sich vorstellen, aus Verzweiflung oder Wut so zu reagieren?
Gedeck: Eigentlich nicht, aber Doris kann es sich auch nicht vorstellen - und macht es trotzdem. Ich kann allerdings durchaus nachvollziehen, dass die Wellen über einem zusammenschlagen und dass man sich abreagieren möchte. Das sind die Dinge, die man nicht in der Hand hat. Man verliert die Kontrolle. Die Kontrolle zu verlieren, das kann ich mir tatsächlich vorstellen.
SPIEGEL ONLINE: Wenn eine Ehe in die Brüche geht, ist es selten so, dass eine Seite völlig im Recht ist. Wie haben Sie in diesem Fall Ihre Position gefunden?
Gedeck: Als Schauspielerin muss ich meine Figur und das, was ich zu spielen habe, verteidigen und rechtfertigen. Nur dann kann ich das glaubhaft und überzeugend rüberbringen. Als ich den fertigen Film zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gedacht: Immer wenn er was sagt, hat er recht. Und immer wenn sie etwas sagt, hat sie auch recht. Das kann nur glücken, wenn beide Schauspieler ihren eigenen Raum bewahren beim Spielen.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das in diesem Zusammenspiel mit Ulrich Tukur, der im Film den untreuen Ehemann Georg spielt?
Gedeck: Wir schauen uns gegenseitig nicht zu sehr in die Karten, verständigen uns nicht über unser Spiel. Ich sehe, wie er sich präsentiert, wie er spricht oder mich anschaut, wenn er die Szene spielt. Das ist sein Angebot oder umgekehrt meins. Das macht es echt. Das klappt nicht bei jedem, aber wenn es funktioniert, ist das etwas sehr Besonderes und Schönes. Mit Ulrich Tukur kann man das gut machen.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie persönlich an die eine große Liebe zu einem Menschen?
Gedeck: Wenn Sie jetzt nach der partnerschaftlichen Liebe fragen, so kann es in einem ganzen langen Leben
auch zwei, drei große Lieben geben.
SPIEGEL ONLINE: So haben Sie das auch erlebt?
Gedeck: So habe ich das erlebt. Zum Glück.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben einmal gesagt, dass Sie zu Ihrem verstorbenen Lebensgefährten Ulrich Wildgruber eine sehr symbiotische Beziehung hatten - und dass Sie jetzt das Gefühl haben, mit Ihrem Partner, dem Regisseur Markus Imboden, in einer "erwachsenen Liebe" zu leben. Die Liebe kann sich also in ganz verschiedenen Formen ausdrücken?
Gedeck: Wir wachsen, verändern uns im Laufe der Jahre, haben einen anderen Erfahrungshorizont, andere Bedürfnisse. Junge Menschen haben andere Stärken als ältere, entsprechend kann sich eine Liebe entwickeln. Und es hängt immer auch vom Gegenüber ab. Welche Eigenschaften oder Interessen werden durch den Partner belebt und welche treten eher in den Hintergrund?
SPIEGEL ONLINE: Die Idealvorstellung ist immer noch, mit einem Partner beziehungsweise einer Partnerin zusammenzuleben oder verheiratet zu sein, "bis dass der Tod euch scheidet". Sie sind nicht verheiratet, oder?
Gedeck: Doch.
SPIEGEL ONLINE: Seit wann?
Gedeck: Schon ein Weilchen.
SPIEGEL ONLINE: Warum wollen Sie das nicht verraten?
Gedeck: Was wollten Sie ursprünglich wissen?
SPIEGEL ONLINE: Müssen wir uns vom Traum einer lebenslangen Partnerschaft endgültig verabschieden?
Gedeck: Es wird vielleicht irgendwann der Punkt kommen, wo dieser Halbsatz selbst aus dem kirchlichen Eheversprechen gestrichen wird. Aber als Ausgangspunkt finde ich das erst mal gut. Wir sollten immer 150 Prozent anstreben, dann schaffen wir vielleicht 80 Prozent.