Kreativ rechnen, analytisch malen
Große Bilder brauchen große Themen, konstatierte ein Künstlerfreund. Das leuchtete Ulla Kopp sofort ein, und sie nannte ihr nächstes großformatiges Gemälde „Nicht Nichts“. Mit Acrylfarben malt sie am liebsten, oft abstrakte Motive, aber meist mit einem Thema im Hinterkopf. Abends oder am Wochenende rollt sie in ihrer Wohnung den Teppich beiseite, bedeckt das Parkett mit einer Malerfolie und schaltet die Tageslichtlampe an. 30 bis 50 Kunstwerke schafft sie im Jahr, manchmal ganz kleine.
Sie kreiert auch filigrane lackierte Blechfiguren mit Löckchen aus Blumendraht und Röckchen aus Hasendraht. „Hund beißt Frau und Mann schaut zu“ hieß ihre erste Figur. Später widmete sie sich auch mit den kleinen Figuren den großen Themen der Welt: Auf ihrer Fensterbank entdecke ich die blecherne Odyssee vom trojanischen Pferd auf Rädern bis hin zur Penelope vor einem Berg getöteter Freier. Alles handgefertigt.
„Was ich so schön finde, ist diese Gestaltungsmöglichkeit!“ Wenn Ulla Kopp so etwas sagt, meint sie gar nicht ihre Kunstwerke. Dann spricht sie von ihrem Job, von Be-to-be-Messen (für Fachbesucher) und Be-to-see-Messen (fürs breite Publikum). Sie spricht von Rechnungs- und Personalwesen, von Tätigkeiten also, die gemeinhin nicht im kreativen, sondern eher im Bereich der knochentrockenen Materie verortet werden. Ulla Kopp ist 50 Jahre alt, Wirtschaftsingenieurin und seit 2007 Geschäftsführerin der Hamburg Messe. Vorher hat sie u.a. in führenden Positionen für den Jahreszeiten Verlag und die Bertelsmann AG gearbeitet.
Vor einigen Jahren schon bin ich auf sie aufmerksam geworden, als sie in einem Vortrag ihren Aufgabenbereich bei der Messe so bunt und begeistert darstellte, dass ich mir – bis dahin mit keiner besonderen Vorliebe fürs Messegeschäft ausgestattet – anschließend kaum noch eine interessantere Arbeit vorstellen konnte. Hatte ich anfangs gedacht, da kommt eine adrette Finanzverwalterin mit Kurzhaarschnitt und etwas altmodischer Brille, so war bald zu spüren, dass es hinter diesem Outfit einen frischen unkonventionellen Geist zu entdecken gibt.
„Die Idee von Gestaltung sieht man im Bild viel mehr, aber aus meiner Sicht kommt sie auch in meinem Job zum Ausdruck“, erklärt mir Ulla Kopp, „egal, ob ich ein neues Berichtswesen konzipiere, oder ob es um Verträge und Verhandlungen geht. Auch bei meinen Bildern fange ich mit einer gewissen Analytik an, überlege mir, wie ich das Bild einteile oder was ich zum Ausdruck bringen will. Dann in der Umsetzung brauche ich Kreativität, weil es selten so läuft, wie ich mir das vorher vorstelle. Im Büro nicht, und beim Malen übrigens auch nicht.“
Eins ihrer bedeutenden Projekte in den kommenden Jahren wird die Vorbereitung der Hamburg Messe auf die Olympischen Spiele 2024 sein. (Da sind wir wieder bei den griechischen Göttern …) Das Messegelände soll – wenn es denn so weit kommt – zur großen Sportstätte werden. Wohin dann aber mit den Messen, die normalerweise hier stattfinden? „Unser Geschäft schwankt stark in Zweijahreszyklen“, gibt Ulla Kopp zu bedenken. Die größten Veranstaltungen, wie die Weltleitmesse für den Schiffbau und die WindEnergy, finden in einem geraden Jahr statt, ebenso wie die Olympiade. „Man muss sich also gut überlegen, wie man diese Probleme löst.“
Komplizierte Fragestellungen machen sie mitnichten nervös. „Wenn 2017 die Entscheidung fällt, kriegen wir das bis 2024 organisiert. Das können wir!“
Ulla Kopp ist Schwäbin von Haus aus. Das hört man auch nach dreizehn Jahren in Hamburg noch gut heraus, ein bissel wenigstens. Geboren und aufgewachsen in Reutlingen mit einer drei Jahre jüngeren Schwester, die Mutter Grundschullehrerin, der Vater Straßenbauingenieur, ein Beamtenhaushalt. Sonntagmorgens zu den Großeltern ins Bett gekrochen, wo der Opa seine Jäger-Geschichten erzählte. Ganz behütet, erinnert sie sich, sie sei als Kind nicht einmal umgezogen.
Als Abi-Leistungskurse hat sie Mathe und Physik gewählt. Diese Fächer fand sie relativ einfach – wenn man es einmal kapiert hatte. Und Ulla kapierte schnell. Sie machte ihr Abi mit 1,1. Für ihr Diplom als Wirtschaftsingenieurin gab’s fünf Jahre später ebenfalls die Note sehr gut.
Allzu viel Zeit wollte sie fürs Lernen nicht opfern, die verbrachte sie lieber auf dem Tennisplatz, wo sie übrigens auch heute noch gern hingeht. Sie betreibt außerdem regelmäßig Yoga, geht joggen, fährt Ski und hat vor Kurzem mit dem Golfen angefangen. Das Geheimnis ihres Zeitmanagements? „Ich verzettele mich nicht und daddele eigentlich nie herum. Ich konzentriere mich auf das, was ich gerade mache. Wenn ich mich beim Yoga erhole, dann entspanne ich mich entschieden und konsequent.“
Obendrein liest sie viel, kümmert sich gern und regelmäßig um die Kinder ihrer Schwester. „Ich finde Kinder niedlich und hab die gern, aber ich habe nie das Bedürfnis verspürt, eigene Kinder zu haben.“
Oft war sie die erste Frau in ihren Positionen. Das fing schon im Studium an der TH Karlsruhe an. Probleme gab es, als sie um 1990 in St. Gallen promovierte. „Warum heiratest du keinen, wenn du so scharf bist auf einen Doktor?“ Das war nur eine von vielen wenig charmanten Anmachen, die sie damals noch als persönliche Kränkung empfunden hat. „Es brauchte ein paar Monate, bis ich meine Waffen fand und wusste, wie ich zurückschieße.“ Wie hat sie denn zurückgeschossen? „Ähnlich blöd, weil subtil verstanden die nicht. In dem Moment, wo ich auf Gegenaggression geschaltet hatte, haben sie angefangen, mich zu akzeptieren.“
Ich solle mich mal mit „tit for tat“ beschäftigen, empfiehlt sie, einer Spieltheorie, die davon ausgeht, dass weiche Reaktionen auf harte Gegner nicht zum Sieg führen. Agiert sie auch heute noch „tit for tat“? Aber klar!
Man schrieb bereits das Jahr 2012, als sie mit zwei deutschen Geschäftspartnern verhandeln wollte: „Die lehnten sich zurück und sagten: Wir verhandeln nicht mit Ihnen! Sag ich, das ist ja interessant und guck sie an. Da fangen sie an zu erklären, dass sie nicht mit Frauen verhandeln. Hundertprozentig wahr. Da konnte ich mich ebenso freundlich zurücklehnen und sagen: Das ist aber blöd, so kriegen Sie keinen Vertrag!“
Man schrieb das Jahr 2013, als das Verhandlungsteam der Messe gebeten wurde, Ulla Kopp doch bitte zu Hause zu lassen. Wenn sie mitkäme, dann würde die andere Partei ihre Steuerberaterin mitbringen, damit sich die Damen in der Bibliothek unterhalten könnten. Eine Frau am Verhandlungstisch war unerwünscht.
Über solche Verhaltensweisen kann Ulla Kopp sich heute amüsieren: „Es bringt mich in eine relativ starke Verhandlungsposition, wenn die so ungeschickt sind. Aber sobald die Vorurteile einmal überwunden sind, legt sich das auch. Wir haben dann einen guten Vertragsabschluss gemacht.“
Früher hat sie mal gedacht, Qualität setze sich durch. Doch hat sie in der Praxis andere Erfahrungen machen müssen und spricht sich deshalb inzwischen für die Frauenquote aus. Es ist nicht zuletzt ihr Verdienst, dass die Messe den Helga-Stödter-Preis für mixed leadership erhalten hat, wobei es ihr nicht allein um die Geschlechterquote geht. Es geht auch um gemischte Altersstrukturen, ethnische Herkunft und unterschiedliche Ausbildungspfade. „Wir haben diesen Preis gewonnen, weil wir besonders heterogen sind. Wir haben ein ganzes Portfolio an Maßnahmen entwickelt, und damit haben wir gewonnen“, erklärt sie nicht ohne Stolz.
Zu ihren nächsten großen Aufgaben gehört der Umbau des Congress Centrums, des CCH, ab Januar 2017. „Revitalisierung“ nennt sie das. Was passiert mit den Mitarbeitern während der Bauphase? Wie kann man den Besucher- und Lieferantenverkehr so steuern, dass er reibungslos fließt? Das sind die Fragen, mit denen sie sich – kreativ denkend selbstverständlich – beschäftigt.
„Die Idee ist natürlich“, sagt sie, „zu den Top Five in Europa zu gehören und damit viele Reisende nach Hamburg zu bringen. Wir wollen weiter zu den weltweit führenden Kongresszentren gehören, auf jeden Fall in Deutschland das modernste, schönste und größte sein!“
Immer will sie hoch hinaus, bastelt mit Leidenschaft am perfekten Ergebnis. Die Freude am Gelingen treibt sie an. „Phasenweise habe ich immer die gleichen Bilder gemalt, solange bis ich das Gefühl hatte: Jetzt hab ich’s!“ Wann ist ein Werk fertig? Das sei eine der schwierigsten Fragen überhaupt, meint sie. „Wenn man glaubt: Alles, was ich jetzt hinzufüge, macht es schlechter.“ Sie übt sich in der Kunst des Weglassens. Das funktioniere nicht immer, bedauert Ulla Kopp. Und wenn sie an ihren Schuhschrank denkt … da klappt es gar nicht.